Was passiert wenn air berlin pleite geht

Vertreter von Deutschlands zweitgrößter Airline wollen nicht viel sagen. Noch nicht. Nur elf Zeilen ist die Botschaft lang, die Air Berlin am Freitagnachmittag veröffentlichte. In der dürren Nachricht ist von „Angeboten mehrerer Bieter“ die Rede. Vorstandschef Thomas Winkelmann spricht von einem „regen Investoreninteresse“, mit dem das Bieterverfahren für den hoch verschuldeten Konkurrenten der Lufthansa beendet wurde. Ab sofort werde mit der Auswertung der verbindlichen Angebote begonnen.

Was in der Mitteilung leider gänzlich fehlt, allerdings deutlich interessanter wäre, sind die Namen der Interessenten für die insolvente Fluggesellschaft. Wer hat tatsächlich ein finanziell abgesichertes, detailliertes Angebot samt Zukunftsplan abgegeben und nicht nur über Facebook oder in Interviews großspurig darüber geredet? Nicht einmal, wie viele Bieter es sind und für welche Teile der Pleite-Airline sie sich interessieren, ist bekannt. Dabei ist es das, was die 8000 Mitarbeiter und die Passagiere der Airline unbedingt wissen wollen.

Die dürre Nachricht ist nur die letzte Episode eines Vorgangs, der gute Chancen hat, als verrückteste Insolvenz aller Zeiten in die deutsche Wirtschaftsgeschichte einzugehen. „Es ist eine ungewöhnliche Insolvenz mit zahlreichen Merkwürdigkeiten“, sagt ein renommierter Insolvenzverwalter und findet damit vorsichtige Worte für eine in der Tat ungewöhnliche Entwicklung.

Bei Air Berlin läuft vieles anders

Dass die wirtschaftliche Lage der zweitgrößten Airline Deutschlands desolat war, war lange bekannt. Die Nachricht, dass sie wirklich Konkurs anmelden musste, und das mitten in der Ferienzeit, kam im August dann doch überraschend. Auch aus Angst vor Chaosbildern mitten im Wahlkampf war die Regierung damals schnell bereit, mit einem Übergangskredit den Betrieb für eine Weile abzusichern. Seither läuft das Insolvenzverfahren, im Zuge dessen sich Interessierte für die Einzelteile der Fluglinie bewerben sollten. Das ist ein bekanntes Prozedere für die Abwicklung eines Konzerns. Doch im Fall von Air Berlin läuft vieles anders. Und vieles, was sich seither ereignet hat, ist äußerst bizarr.

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Erst in der vergangenen Woche durfte die Öffentlichkeit mit großem Erstaunen verfolgen, wie ausgerechnet die Piloten der Airline das von der Regierung geschnürte Rettungspaket ins Wanken brachten. Nachdem die Gespräche über die künftigen Pilotentarife unter einem neuen Eigentümer gescheitert waren, brach urplötzlich eine streikähnliche Krankheitswelle unter den Flugzeugkapitänen aus – was das ohnehin finanziell ruinierte Unternehmen pro Tag weitere fünf Millionen Euro Verlust kostete.

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Zwei Flugzeuge vom Typ
Airbus A320 der deutschen Fluggesellschaften Air Berlin und Eurowings sind am 13.09.2017 auf dem Vorfeld am Flughafen in Stuttgart (Baden-Württemberg) zu sehen. Foto: Christoph Schmidt/dpa +++(c) dpa - Bildfunk+++

Das sogenannte Sick-out-Phänomen, eine organisierte Krankheitswelle, um Druck auszuüben, ist zwar bekannt – in der Phase, wo es um die letzten Überlebensversuche eines Konzerns geht, aber höchst ungewöhnlich. Kann ein Insolvenzverwalter nämlich beweisen, dass es sich um eine sittenwidrige Schädigung des Arbeitgebers handelt, kann er Schadenersatz verlangen. Die Krankheitswelle von zeitweilig 200 der 1500 Piloten war in den Augen vieler Beobachter in der Tat eine Kapitulationserklärung. „Es ist schon absurd, wenn Beschäftigte einer Firma am Abgrund auch noch alles tun, damit es noch schlechter geht“, sagt ein Branchenkenner.

Illustre Schar von Interessenten

Ungewöhnlich ist außerdem, dass sich erst jetzt herauskristallisiert hat, dass die endgültige Entscheidung über den Zuschlag für den oder die Air-Berlin-Käufer nicht wie geplant auf der Gläubigerversammlung am 21. September fallen soll – sondern erst bei der Sitzung des Air-Berlin-Aufsichtsrates am 25. September. Das Kalkül dahinter liegt auf der Hand: Möglicherweise unangenehme Nachrichten sollen lieber nicht vor der Bundestagswahl ihren Weg in die Öffentlichkeit finden.

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Aber hätte man das nicht schon vorher wissen können? Wahrscheinlich soll erst am Tag nach dem Urnengang bekannt werden, dass der 150 Millionen Euro schwere Überbrückungskredit der staatlichen KfW-Bank mit Bürgschaft des Bundes verloren ist. Somit hätten die Steuerzahler das durch Managementversagen in die Pleite getriebene Unternehmen Air Berlin noch etwas am Leben erhalten, um den Einstieg von Investoren einigermaßen geregelt ablaufen zu lassen. Womöglich reichen die Millionen aber gar nicht, um den Übergang zum neuen Käufer zu finanzieren, weil jeden Tag neue Millionenverluste entstehen.

Auch das Bieterverfahren um die Reste der Fluglinie hat einige Unterhaltung zu bieten. Während bei früheren großen Pleiten wie etwa beim Handels- und Touristikkonzern Arcandor im Jahr 2009, bei der Drogeriemarktkette Schlecker im Jahr 2012 oder bei der Baumarktkette Praktiker ein Jahr darauf im Stillen verhandelt wurde, meldete sich im Fall Air Berlin eine illustre Schar von Interessenten schon vor Ablauf der Frist öffentlich – und das auf durchaus innovativen Wegen.

Claassen pokert gegen Wöhrl

Der Nürnberger Mode- und Luftfahrtunternehmer Hans Rudolf Wöhrl etwa verkündete nicht nur per Pressemitteilung, sondern auch via Facebook sein Interesse – und gab dabei sogar weitere Details an. Er bietet mindestens 50 Millionen Euro für die gesamte Gruppe. Je nach Geschäftserfolg könnten es irgendwann 500 Millionen Euro werden. Dabei hat Wöhrl nach eigenen Angaben noch nicht einmal in den Datenraum von Air Berlin geschaut, weil er die Vertraulichkeitserklärung nicht unterschreiben wollte. Seinem Vorschlag werden wegen des hohen Kapitalbedarfs allerdings nur geringe Chancen eingeräumt.

Niki Lauda will Teile von Air Berlin übernehmen

Niki Lauda steigt ins Rennen um die insolvente Fluggesellschaft Air Berlin ein. Er will gemeinsam mit dem Reisekonzern Thomas Cook und Condor Bereiche der Airline kaufen.

Quelle: N24/ Jana Schmidt

Wenn Wöhrl mindestens 50 Millionen Euro bietet, dann pokere ich mit mindestens 100 Millionen Euro – hat sich womöglich der Unternehmer Utz Claassen gedacht. Auch der frühere Chef des Energieversorgers EnBW hat sich bereits öffentlich als Air-Berlin-Bieter zu erkennen gegeben. Zusammen mit weiteren Investoren sollen bis zu 600 Millionen Euro zusätzliche Liquidität bereitgestellt werden. Der 54-jährige Manager will nach Angaben im „Handelsblatt“ die gesamte Belegschaft übernehmen, allerdings nur „unter der Voraussetzung angemessener wettbewerbsgerechter Vergütungsstrukturen“. Was das heißt, ist nicht klar.

Zur bunten Schar der Bieter gehört außerdem der ehemalige Formel-1-Rennfahrer Niki Lauda, der in einem Konsortium mit der Ferienfluggesellschaft Condor für die von ihm einst gegründete Air-Berlin-Ferienflugtochter Niki sowie 17 weitere Flugzeuge bieten will. Angeblich sollen 100 Millionen Euro investiert werden. „Jetzt müssen wir mal schauen, ob wir den Zuschlag bekommen“, verkündete der 68-Jährige in einem Radiointerview.

Die Lufthansa hat gute Chancen

Doch das ist noch lange nicht alles. Neben der Berliner Logistikfirma Zeitfracht, die für die Frachttochter Leisure Cargo, die Regionalflugtochter Walter (LGW) und die Air Berlin Technik bietet, zählt auch ein chinesischstämmiger Unternehmer namens Jonathan Pang zum Kreis der Interessenten. Pang, der mit mäßigem Erfolg den Flughafen Parchim in Mecklenburg-Vorpommern betreibt, möchte den Flughafen zum Drehkreuz der internationalen Luftfracht machen. Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass er tatsächlich am Freitag ein Angebot für Air Berlin eingereicht hat.

Quelle: Infografik Die Welt

Wahrscheinlicher ist, dass die Bieter, die sich bislang in Schweigen hüllen, die größten Chancen haben, bei Air Berlin zum Zug zu kommen. Zum Beispiel die Lufthansa. Die Lufthansa teilte nur einmal kurz mit, dass sie mit der Bundesregierung die Restrukturierungsbemühungen der Fluggesellschaft unterstützt. „Lufthansa befindet sich mit Air Berlin bereits in Verhandlungen über den Erwerb von Teilen der Air-Berlin-Gruppe und bietet damit auch die Möglichkeit zur Einstellung von Personal. Lufthansa beabsichtigt, diese Verhandlungen zu einem schnellen und positiven Ergebnis zu führen.“

Zuletzt hieß es, die Lufthansa biete für 70 bis 90 der rund 140 Air-Berlin-Flugzeuge und biete einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag. Zu den Topfavoriten bei den Käufern gehört auch die britische Billigfluggesellschaft Easyjet, die ein Angebot für das Kurzstreckengeschäft eingereicht hat.

Auch die Verwendung des Kredits ist eigenartig

Noch ist die Air-Berlin-Pleite formal eine Insolvenz in Eigenverwaltung, bei der von einer Fortführung des Geschäftsbetriebs ausgegangen wird. Dabei rechnen fast alle Beobachter mit einer Zerschlagung der Airline. Die Konstruktion des Insolvenzverfahrens verwundert auch den Düsseldorfer Insolvenzrechtler der Kanzlei Hoffmann Liebs Fritsch & Partner, Volker Hees. „Dass einem Management, das es seit Jahren nicht schafft, Air Berlin profitabel zu führen, ein Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung ermöglicht wird, ist schon ungewöhnlich“, sagt er.

Quelle: Infografik Die Welt

Wenn ein Unternehmen absehbar nicht mehr weiter existiert und nur abgewickelt werden soll, sei es üblich, das Verfahren an einen Insolvenzverwalter zu übergeben – und das Management zu entmachten. Darüber entscheide aber letztlich der Gläubigerausschuss. Im Fall von Air Berlin gehören dazu Vertreter von Air Berlin und der Lufthansa-Tochter Eurowings, der Commerzbank und der Bundesagentur für Arbeit und der Rechtsanwalt Niklas Lütcke.

Auch die Verwendung des Kredits der Bundesregierung ist seiner Ansicht nach eigenartig. Entgegen der angekündigten Rettung gestrandeter Urlauber, werde der gesamte defizitäre Geschäftsbetrieb auf Kosten der Masse und damit der Gläubiger aufrechterhalten, sagt er. „Es werden sogar Personen befördert, die vor Monaten bezahlt haben – obwohl sie nicht aus dem Urlaub zurückmüssen.“

Das formale Insolvenzverfahren beginnt wohl im Oktober

Für Luftfahrtberater Gerald Wissel beginnen die Ungereimtheiten dagegen schon beim Zeitpunkt der Insolvenz von Air Berlin. Noch im April hatte Hauptaktionär Etihad eine langfristige Finanzierungszusage für Air Berlin gegeben. „Etihad wusste schon viel früher, wie viel Geld sie mit Air Berlin verbrennen“, sagt er. Dass Etihad die Finanzierungszusage rund sechs Wochen vor der Bundestagswahl entzieht, spreche dafür, dass die Insolvenz nicht nur von Etihad, sondern auch von der Lufthansa gesteuert gewesen sei. „Weder Lufthansa noch die Politik waren von dem Zeitpunkt überrascht“, so Wissel.

Dobrindt: „Das ist kontraproduktiv“

Verkehrsminister Dobrindt hat die Air-Berlin-Piloten aufgefordert, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Bis jetzt ohne Wirkung. Viele Flüge fallen aus. Der Vorstand warnt vor einem „unkontrollierten Zusammenbruch“ der Airline.

Quelle: N24/ Lena-Maria Mosel

Die größte deutsche Fluggesellschaft habe darauf spekuliert, dass für Air Berlin im beginnenden Bundestagswahlkampf schnell eine Lösung gefunden werden müsste. Lufthansa wollte sich in der Öffentlichkeit als Retter in der Not inszenieren, um sich die Unterstützung der Politik zu sichern, falls die Kartellbehörden Bedenken anmelden, sagt er. „Doch der Plan ist nicht aufgegangen, weil auch nach der Entscheidung des Gläubigerausschusses überhaupt nicht klar ist, was mit Air Berlin passiert.“

Die formale Eröffnung des Insolvenzverfahrens bei Air Berlin, bei dem dann auch alle Forderungen angemeldet werden können, erwarten Experten zum 1. Oktober. Ob es dann in der sogenannten Regelinsolvenz landet, womit der Insolvenzverwalter und nicht mehr die Geschäftsführung das Sagen hätte, ist noch offen. Zunächst müssen jetzt gemeinsam mit dem Sachwalter Lucas Flöther die eingereichten Offerten geprüft werden. „Da geht es nicht darum, wer hat öffentlich am lautesten geredet, es zählen nur die Fakten“, sagt ein Insider.

Ryanair glaubt an ein abgekartetes Spiel

Für den Lufthansa-Konkurrenten Ryanair gehört zu den Merkwürdigkeiten des Insolvenzverfahrens, mit wie viel Tempo bei Air Berlin Fakten geschaffen werden sollen. Schon vier Wochen nach dem Insolvenzantrag soll die Airline zerlegt und aufgeteilt sein. „Es dauert länger, einen Gebrauchtwagen zu verkaufen als Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft“, lästert Kenny Jacobs, Chief Marketing Officer der irischen Fluggesellschaft Ryanair, die sich beim Verkaufsprozess übergangen fühlt.

Jacobs glaubt wie sein Chef Michael O’Leary an ein großes abgekartetes Spiel zwischen der Politik, Air Berlin und der Lufthansa. Der flugs veranlasste Staatskredit über 150 Millionen Euro sei dafür genutzt worden, Forderungen der Lufthansa an Air Berlin zu bedienen, mutmaßt O’Leary. In Wirklichkeit sei Air Berlin im August das Bargeld gar nicht ausgegangen, mutmaßt er. Mitten in der Urlaubssaison sei keine Airline der Welt „short of cash“, noch nicht einmal Air Berlin, so O’Leary.

Der Zeitpunkt der Bankrotterklärung und das Tempo des Verkaufsprozesses kommt den Wettbewerbern aus Irland auch deshalb höchst merkwürdig vor, weil die Pleite einer anderen Fluggesellschaft in Europa aktuell vormacht, dass es auch anders geht: Alitalia hatte schon Anfang Mai die Insolvenz erklärt – und ist heute, fünf Monate später, immer noch in der Luft.

Das Beispiel zeige, dass es bei einem regulären Insolvenzverfahren keine Hektik geben müsse, erklärt O’Leary, denn immerhin beinhalte ein geordnetes Insolvenzverfahren ja immer auch einen gewissen Schutz vor den Forderungen von Gläubigern. Alitalia als mustergültiges Insolvenzverfahren, an dem sich Deutschland ein Beispiel nehmen müsse? Es sei schon lustig, findet jedenfalls Jacobs, dass „die Italiener, die genau wie die Iren die Dinge auch gern mal in einem Graubereich klären, ein sehr viel transparenteres Insolvenzverfahren durchziehen als die Deutschen“.

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Was passiert wenn Airline pleite geht?

Wenn eine Airline Insolvenz anmeldet und Ihre Flüge streicht, müssen Sie sich kümmern. Pauschalreisende können von Ihrem Veranstalter einen Ersatzflug verlangen. Wer seine Tickets direkt bei der Airline gebucht hat, muss sich dagegen selbst um eine Ersatzbeförderung kümmern.

Ist Air Berlin pleite?

August 2017, hat Air Berlin rund 40 Jahre nach der Gründung Insolvenz angemeldet. Ein maßloser Expansionsdrang mit Übernahmen von Wettbewerbern wie LTU und DBA samt Börsengang in London hatte das Management überfordert. Die Gesellschaft war überschuldet, der damalige Großaktionär Etihad Airways drehte den Geldhahn zu.

Wie sicher ist Air Berlin?

Die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands, Air Berlin, hat sich in puncto Sicherheit nichts vorzuwerfen. Bis auf kleinere Zwischenfälle fliegt die Airline seit ihrer Gründung unfallfrei. 2011 wurde der Billigflieger mit dem ÖkoGlobe für innovative Lösungen im Bereich ökoeffizientes Fliegen ausgezeichnet.

Warum fliegt Air Berlin nicht mehr?

Teile der Gesellschaft, darunter das Geschäft am Flughafen Tegel und die Tochtergesellschaft LGW, wurden an die Lufthansa und easyJet verkauft. Air Berlin war bis dahin die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands. Die letzte Tochtergesellschaft der Air Berlin, Belair, meldete Mitte August 2018 Insolvenz an.