Wer zweimal mit der gleichen pennt gehört schon zum

Der Mythos der 68er Die freie Liebe tat oft ziemlich weh

23.02.2015, 11:56 Uhr

"Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment" - mit diesem Motto läuten die 68er die sexuelle Revolution ein. Doch oft brachte die freie Liebe einfach nur jede Menge Kummer.

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Uschi Obermaier 1970 noch ganz im Geist der freien Liebe.

(Foto: picture alliance / dpa)

Kaum eine Beschreibung der 1960er-Jahre kommt ohne die Erwähnung des besonderen Sexuallebens jener Zeit aus. Das Private wurde politisch, jeder sollte seine Sexualität frei ausleben, auch mit mehreren Partnern. Statt rigider Sexualmoral war nun freie Liebe angesagt. "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment", ist der neue Reim, den sich die jungen Leute machen. Noch Jahrzehnte später erinnern sich die inzwischen um die 70-Jährigen mit einem gewissen Glanz in den Augen an ihre wilde Jugend.

Die Erziehungswissenschaftlerin Karla Verlinden ist für ihre Dissertation in Gesprächen mit Zeitzeugen der Frage nachgegangen, wie die 68er ihre Sexualität und die daraus entstandenen Beziehungen tatsächlich erlebt haben und hat dabei überraschende Antworten gefunden. Zu Beginn der Gespräche neigten die meisten der zwischen 1946 und 1951 geborenen Interviewten dazu, sich vor allem an die positiven Dinge zu erinnern. "Alles war so toll. Alle waren so frei. Wir haben so viel gelernt." Für Verlinden ist das zunächst verständlich. "Wenn ältere Menschen auf ihr Leben zurückblicken, möchten sie natürlich, dass ihre Biografien Erfolgsgeschichten sind."

Bei genauerem Nachfragen zeigte sich jedoch, dass eben doch nicht alles nur toll war. Denn vor allem das polygame Beziehungsleben brachte auch viel Leid hervor. Und den Kummer, der daraus entstand, den Partner teilen zu müssen, musste jeder mit sich allein ausmachen. Denn die Theorien waren eindeutig: Monogame Beziehungen, ob mit oder ohne Trauschein, widersprechen der Natur des Menschen und schränken ihn in seiner individuellen Entfaltung ein. Besitzansprüche an eine Partnerin oder einen Partner sollte man unterdrücken oder gar nicht erst entwickeln. Die Alternative zur freien Liebe war denn auch folgerichtig: sexuelle Verkrüppelung, reaktionäre Beziehungsauffassung, im schlimmsten Fall der Rückfall in überholte bürgerliche Modelle.

Anhand der Beischlaf-Gewohnheiten ließ sich der Grad der politischen Klarheit eindeutig messen. "Man hatte einen ganz klaren politischen Anspruch, wie es zu sein hat und wenn man diesem Anspruch gefühlsmäßig nicht so richtig zustimmen konnte, dann war man damit meistens für sich allein gelassen. Es war verpönt, beispielsweise Eifersucht anzusprechen oder mit seinem Partner oder seiner Partnerin zu diskutieren", fasst Verlinden ihre Erkenntnisse zusammen.

Freiheit mit Tücken

Dabei hatten die 68er nach einer meist sehr repressiven und schambesetzten Sexualerziehung die neuen Freiheiten des Studenten- und Wohngemeinschaftslebens zunächst als äußerst befreiend erlebt. Die Antibaby-Pille ermöglichte eine Sexualität ohne Angst vor Schwangerschaft. Die Welt der Eltern, die eine Anklage wegen Kuppelei fürchteten, wenn der Freund bei ihnen übernachtete, lag hinter ihnen. Nun galt es, die Unterdrückung der eigenen Sexualität zu überwinden.

Für Verlindens Gesprächspartner erwies sich die Mischung aus Sexualität und Politik als zunehmend problematisch. Stur an Regeln und Normen für ein "befreites" Beziehungskonstrukt festzuhalten, ohne auf die Bedürfnisse des Partners oder der Partnerin zu achten und ohne darüber zu sprechen - das stellte die 68er vor unlösbare Konflikte. An ein fröhliches Erkunden der eigenen Sexualität war für viele in einem Klima der Unnachgiebigkeit und Intoleranz kaum mehr zu denken. Und betraf bei Weitem nicht nur die Frauen, wie es die feministische Forschung bisher nahelegte.  

Hört man den befragten Männern und Frauen zu, hatten beide Geschlechter gleichermaßen damit zu tun. Auch Männer scheitern bei dem Versuch, sich von bürgerlichen Besitzansprüchen zu befreien. Selbst wer keine erniedrigenden Verhaltensvorschriften für lebenden Besitz vertreten wollte, war oft genug eifersüchtig, verletzt und unglücklich. Denn anders als bisher meist gemutmaßt, saßen die Frauen keineswegs zu Hause, waren traurig und pflegten keinerlei Nebenbeziehungen.

Gleiches Recht für beide Geschlechter

Dieses bisher herrschende Vorurteil konnte Verlinden klar widerlegen. "Frauen haben diese Freiheiten genauso genutzt wie die Männer. Und was noch deutlich ist: Frauen haben das auch als Freiheit erlebt und haben sich gar nicht unbedingt ausgenutzt gefühlt", stellt Verlinden fest. Stattdessen nutzten viele Frauen die Möglichkeit, Erfahrungen über sich, ihren Körper und ihre Partnerschaft zu sammeln.

Dennoch kamen die meisten 68er am Ende wieder bei tradierten Beziehungsmodellen an und erzogen auch ihre Kinder in diesem Sinn. "Man schießt über das Ziel hinaus, stellt fest, das ist auch nicht so toll und rudert wieder dahin zurück, wie man es aus seiner Kinderstube kennt. So war es auch in den meisten Fällen der Interviewten", stellt Verlinden fest. Nur wenige leben bis heute in offenen Beziehungssystemen, meist Menschen, die in ihren "wilden Zeiten der Studentenbewegung" am wenigsten darunter gelitten haben.

Gescheitert sind die 68er und ihr Wunsch nach einer "freien Liebe" nach Verlindens Auffassung vor allem an ihren Geschlechterauffassungen. Die blieben, aller Revolution zum Trotz, wie sie waren. Sexuell selbstbestimmte Frauen waren eben doch schon fast leichte Mädchen, und geheiratet wurden am Ende die treuen WG-Genossinnen. Trotzdem konnten nachfolgende Generationen von den 68ern viel lernen, vor allem, dass man Politik und Sexualität nicht vermischen sollte. "Inzwischen ist es so, dass man das im Kleinen und Privaten aushandelt. Zwei, drei oder fünf Menschen klären miteinander, wer möchte was, und wie können wir das realisieren. Das Ziel ist nicht gleich eine gesellschaftliche Strömung oder ein neues menschliches Leitbild."

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Programmübersicht:
 

  • 02.03., 22.15 Uhr     Verschwörungstheorien

  • 02.03., 23.05 Uhr     Der Kalte Krieg

  • 03.03., 22.15 Uhr     Briten, Beatles und Bewegung

  • 03.03., 23.05 Uhr     Die Bürgerrechtsbewegung

  • 04.03., 22.15 Uhr     Alles in Farbe

  • 04.03., 23.05 Uhr     Der Vietnam-Krieg

  • 05.03., 22.15 Uhr     Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll

  • 05.03., 23.05 Uhr     Das Jahr 1968

  • 06.03., 22.15 Uhr     Jahrzehnt des Umbruchs

  • 06.03., 23.05 Uhr     Technischer Fortschritt

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