Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Als Sultan Mehmed II. 1453 zu Pferd in Konstantinopel einzog, führte ihn sein erster Weg zur Hagia Sophia. Das siegreiche Oberhaupt der Osmanen trug das Schwert Mohammeds. Mehmed ließ Gebetsteppiche in die Kirche bringen, Kreuze und Glocken entfernen, seinen Namenszug, eine Gebetsnische und ein Minarett aufstellen.

Hinter dem Schwert des Propheten wird Präsident Recep Tayyip Erdoğan zum morgigen Freitagsgebet vermutlich nicht in die mit 4.000 Quadratmeter türkisen Wollteppich ausgelegte Hagia Sophia einziehen. Eine Triumphgeste wird es dennoch sein. Tritt der martialische Präsident damit doch symbolisch in die Fußstapfen des Eroberers.

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Vom Scheitern des politischen Islams in der Türkei
Die AKP brachte den politischen Islam in der Türkei an die Regierungsmacht. Doch von der anfänglichen Begeisterung ihrer Anhänger ist nicht viel übriggeblieben. Immer mehr Menschen sind unzufrieden.

Mit der Unterschrift unter das Moschee-Dekret beförderte Erdoğan das Symbol der Säkularisierung seines ungeliebten Vorgängers Atatürk auf den Müllhaufen der Geschichte. Und sicher nicht zufällig fällt der Tag der Wiedereröffnung auf den 97. Jahrestag des Vertrags von Lausanne. Den von Atatürk unterzeichneten Pakt über die endgültigen Grenzen der Türkei bekämpft der Präsident seit Jahren.

Verhängte Fresken und Mosaike

Zwar hat die Regierung zugesichert, die 1.500 Jahre alte Basilika mit den Mosaiken des Pantokrators, der Muttergottes und der Seraphim blieben öffentlich zugänglich. Doch welchen Wert die Türkei dem Weltkulturerbe sonst zumisst, zeigt der Fall von Hasankeyf. In der antiken Stadt am Tigris lässt sie gerade die Spuren von 11.000 Jahre Menschheitsgeschichte unter Beton verschwinden.

Schon vor einiger Zeit wurden die Hagia Sophias in Iznik, dem antiken Nizäa, und in Trabzon am Schwarzen Meer auf Betreiben führender AKP-Politiker zu Moscheen umgewandelt. Ein Großteil der Fresken und Mosaiken ist seitdem durch Vorhänge und Einbauten verdeckt. Wegen sogenannter "Restaurierungen" streiten Gerichte.

Womöglich steht auch der Istanbuler Hagia Sophia solch eine schleichende Säuberung bevor. "Das dürfte die erste Moschee sein, in der das Bild einer Prostituierten ausgestellt wird", ätzte dieser Tage Ebubekir Sofuoğlu, Kunstgeschichtsprofessor der Provinz-Universität Sakarya mit Blick auf ein Mosaik der Zoe. Die für ihre vielen Affären bekannte Kaiserin hielt 1042 den Thron von Byzanz.

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Islamischer Theologe - "Mohammed würde den Islam nicht wiedererkennen"
In seinem Buch "Gottes falsche Anwälte" kritisiert Mouhanad Khorchide das Islamverständnis vieler Muslime. Der Prophet Mohammed habe die Freiheit des Menschen gewollt, sagte Khorchide im Dlf.

Denkmal der Zivilisationen

Schwer vorstellbar, dass ausgerechnet das Diyanet, das türkische Amt für religiöse Angelegenheiten, dem Erdoğan direkt nach der Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtes die Hagia Sophia unterstellte, solche Diskussionen islamischer Fanatiker in Zukunft eindämmen wird.

Schwer vorstellbar erst recht, dass ausgerechnet die Religionshüter die Erschließung der noch unbekannten Mosaiken forcieren werden, nach denen Wissenschaftler aus aller Welt die Wände der Basilika abscannen.

Auf der Strecke bleibt damit das hybride Symbol der Verquickung von Christentum und Islam in einer Stadt an der Nahtstelle der Religionen. In ihrer wechselvollen Geschichte ist die Hagia Sophia zu einem Palimpsest der Zeichen, zu einem Denkmal der Zivilisationen geworden, die an dem "Mittelpunkt der Welt" Istanbul Geltung beanspruchten.

Islamische Reconquista

Von dem Himmelsgewölbe, das Kaiser Justinians gewaltige Kuppel symbolisieren sollte, über Sultan Mehmeds grüngoldene Medaillons mit den Aufschriften "Mohammed" und "Allah" bis zu den Graffiti, die die Wikinger bei ihrem Einfall in die Stadt 680 nach unserer Zeit hinterließen, ist sie zu einem Paradebeispiel des "außergewöhnlichen universellen Werts" geworden, welches für die UNESCO ein Stück Weltkultur ausmacht.

Wenn Ali Erbaş, der Chef der Religionsbehörde, jetzt von einer "Rückkehr zu den Ursprüngen" spricht, erklärt er die Zeit zwischen 537 und 1453 praktisch für irrelevant. Und nach Jahrzehnten der friedlichen Koexistenz soll in dem Gotteshaus wieder eine symbolische Ordnung den Ton angeben. So markiert die rückverwandelte Hagia Sophia einen weiteren Schritt zur islamischen Reconquista der Türkei.

Mit der Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul in eine Moschee schließt die Türkei einen Kreis. Schon ihr Erbauer Justinian I. wollte mit der größten Kirche der Welt beweisen, dass es keine Macht neben ihm gibt.

Veröffentlicht am 10.07.2020 | Lesedauer: 5 Minuten

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Von Berthold Seewald

Leitender Redakteur Geschichte

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Die „Kirche der göttlichen Weisheit“ als Moschee im 19. Jahrhundert

Quelle: picture-alliance / akg-images

Anzeige

Comment 0  Kommentare

Facebook Twitter Whatsapp

Anzeige

Die Hagia Sophia in Istanbul war schon immer ein politisches Symbol. Sie wurde als Siegesmonument erbaut, nach der Eroberung durch die muslimischen Türken in eine Moschee umgewandelt, nach der Errichtung der Türkischen Republik zum Museum erklärt und unter Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan wieder zu einem islamischen Gotteshaus.

Anzeige

Ihre Entstehung verdankte die „Kirche der göttlichen Weisheit“ einer hoch politischen Demonstration. Im Jahr 532 erhoben sich die Bewohner Konstantinopels, wie Istanbul als Hauptstadt des Oströmischen Reiches hieß, gegen den Kaiser Justinian I. und proklamierten einen Neffen zum Imperator. Sie skandierten „Nika“ (Sieg, daher spricht man vom Nika-Aufstand) und zogen marodierend durch die Straßen. Bevor loyale Truppen den Aufstand in Blut ertränkten, ging die alte Hagia Sophia in Flammen auf.

Als Dank für Gottes Beistand und als Zeichen eigener universaler Macht (und Staatsräson) errichtete der siegreiche Kaiser der göttlichen Weisheit daraufhin eine neue Kirche, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Für fast 1000 Jahre sollte die Hagia Sophia das größte Gotteshaus der Christenheit sein – Symbol seines und des Kaisers Sieges über die Ungehorsamen sowie der ewigen Herrschaft des zweiten Roms über die Welt.

Lesen Sie auch

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Byzanz

Als zwei Sportklubs versuchten, den Kaiser zu stürzen

Anzeige

Dass der Architekt Anthemios von Tralleis und der Mathematiker Isidor von Milet bereits nach fünf Jahren den Rohbau fertigstellten, gibt Grund zu der Annahme, dass Justinian den Aufstand gegen sich bewusst auf die Spitze getrieben hat, um die Opposition gegen sein Regime zu zerschlagen. Bereits 38 Tage nach der Zerstörung der alten Sophienkirche – die übrigens ebenfalls nach Brandschatzung ihrer Vorgängerkirche 404 errichtet worden war – wurde mit dem Neubau begonnen. Die Pläne dürften daher bereits von langer Hand vorbereitet gewesen sein.

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Podcast

Stadt der Spione – die 2. Staffel von „WELT History“

In Sichtweite von Palast und Hippodrom und am Ausgang des zentralen Boulevards Konstantinopels, der Mese, sollte die Hagia Sophia die steingewordene Dreifaltigkeit imperialer Macht am Goldenen Horn vervollständigen. 340 Zentner Gold und seine eigenen Vorstellungen und Tatkraft investierte der Kaiser in das Unternehmen. Allein für die Gestaltung des Allerheiligsten sollen 40.000 Pfund Silber aufgewandt worden sein.

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Der Bauherr Justinian I. (reg. 527–565) mit Gefolge

Quelle: picture-alliance / AKG

„Salomo, ich habe dich übertroffen“, soll der überwältigte Bauherr bei der Einweihung des Rohbaus am 27. Dezember 537 ausgerufen haben, als er mit einem Wagen durch die Kirche fuhr. Dass ihr Grundriss der typischen Form spätantiker Basiliken folgte, wird er dabei gern übersehen haben. Denn die Kuppel, die der Kirche den Charakter eines Zentralbaus verleiht, war einfach überwältigend. Mit einer Höhe von 55,6 Metern und einem Durchmesser von 33 Metern übertraf sie alles, was römische Ingenieure bis dahin mithilfe des Opus caementitium, des betonähnlichen Mörtels der Antike, geschaffen hatten.

Anzeige

Justinian gewann Prokop, den bedeutendsten Historiker seiner Zeit, um die Bauten des Kaisers in einem Werk zu verherrlichen. Das erste Buch ist der Hagia Sophia geweiht. Damit können wir uns eine Vorstellung von der luxuriösen Innenausstattung machen, die mittlerweile von der Zeit und Plünderern zerstört worden ist.

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Alsbald wird dem Betenden „bewusst, dass nicht menschliche Kraft und Kunst, sondern Gottes Hilfe dieses Werk gestaltet hat“, schreibt der Historiker Prokop

Quelle: picture-alliance / akg-images

Das Licht, das durch zahlreiche Fenster – auch in der Kuppel – durch den Raum flutete, wurde von Goldmosaiken reflektiert. „Glanz und Harmonie der Maße schmücken sie“, schreibt Prokop. „Wenn einer das Heiligtum zum Beten betritt, so wird ihm alsbald bewusst, dass nicht menschliche Kraft oder Kunst, sondern Gottes Hilfe dieses Werk gestaltet hat; sein Sinn aber erhebt sich zu Gott und wandelt in der Höhe und glaubt daran, dass der Herr nicht ferne ist, sondern am liebsten in den Räumen weilt, die er sich selbst ausgewählt hat.“

Das war steingewordene Reichsideologie. Denn der Stellvertreter Gottes auf Erden war nach byzantinischer Lesart nicht der Bischof von Rom, sondern der (ost)römische Kaiser, neben dem der Patriarch von Konstantinopel nur die Rolle des obersten Priesters spielte. Welche imperiale Symbolik mit der „Großen Kirche“, wie sie auch genannt wurde, verbunden war, zeigt ein anderer Auftrag, den Nachgeborene Justinian zugeschrieben haben. Danach befahl er seinen Statthaltern und Beamten in den Provinzen, „nach Säulen und Pfeilern, Platten und Schranken und Altarabgrenzungen zu suchen sowie nach Materialien, die für die Kirchenkonstruktion nützlich seien“.

Lesen Sie auch

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Oströmisches Reich

Mit dieser Armee gelang die Rückeroberung des Imperiums

Anzeige

Anzeige

Daneben wurde der Raum um die Kirche mit Hunderten von Standbildern geschmückt, die vor allem heidnische Götter und Helden darstellten. Sie alle bezeugten den Anspruch, dass Ostrom der einzige und wahre Erbe des Imperiums sei, dessen kaiserlicher Herr im Glanz der göttlichen Weisheit seine universale Macht repräsentierte.

Ein Wahrzeichen für seine Stadt und sein Reich war die Hagia Sophia gewiss. Denn mit der Rückeroberung Italiens, Spaniens und Afrikas stellte Justinian das Imperium beinahe in seinen ursprünglichen Dimensionen wieder her. Hundert Jahre später hatten Araber und Slawen davon nicht mehr allzu viel übrig gelassen.

Bauschäden, deren Behebung Justinian noch nebenbei finanzieren konnte, blieben bald unbehandelt. Die Ritter des Vierten Kreuzzuges, die 1204 Konstantinopel eroberten und eine knapp 60-jährige Herrschaft begründeten, waren völlig überfordert. Nach der Rückeroberung der Stadt durch die Byzantiner zogen die Kaiser und ihr Hof an die stark befestigte Landmauer und ließen die „göttliche Weisheit“ am Ufer des Bosporus zurück.

Lesen Sie auch

Warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee

Hagia Sophia

Erdogans Idee mit der Moschee – Ein alter Traum türkischer Islamisten

150 Jahre zuvor, 1054, war die Hagia Sophia die Bühne für das Große Schisma, das das Band zwischen westlicher und östlicher Christenheit zerschnitten hatte. Bei seinem Besuch in Konstantinopel knallte der römische Kardinal Humbert von Silva Candida die Bulle mit der Exkommunikation des gastgebenden Patriarchen mit „gerechtem Zorn“ auf den Altar der Kirche, weil dieser den Primat des Papstes nicht anerkennen wollte. Der Bruch sollte sich als endgültig erweisen.

Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch die Osmanen wurde die Hagia Sophia von den Siegern in eine Moschee umgewandelt. Zugleich diente ihr prachtvolles Äußeres als Vorbild für die spektakulären Moscheen, mit denen die Sultane ihren Anspruch auf Welt- und geistliche Herrschaft demonstrierten.

So war es konsequent, dass Mustafa Kemal Atatürk nach der Gründung der Türkischen Republik 1923 und der Abschaffung des osmanischen Kalifats die Hagia Sophia in ein Museum verwandelte. Damit setzte er seinem Prinzip von einer laizistischen Gesellschaft ein unübersehbares Denkmal. Indem Erdogan dies rückgängig gemacht hat, löste er sich endgültig von dem Prinzip, mit dem der Staatsgründer versucht hatte, der Türkei einen Weg jenseits des Islams zu eröffnen.

Sie finden „Weltgeschichte“ auch auf Facebook. Wir freuen uns über ein Like.

Wahrzeichen von Istanbul wird wieder zur Moschee

Sie war erst Kirche, dann Moschee, jetzt Museum und bald ist sie wieder Moschee. Nach einem Gerichtsurteil soll die Hagia Sophia in Istanbul wieder für muslimische Gebete geöffnet werden. Das gefällt aber nicht allen.

Wann und warum wurde die Hagia Sophia zur Moschee?

Mehr als ein Jahrtausend lang war es die Kathedrale des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel. Sie wurde 1204 von den Venezianern und den Kreuzrittern auf dem Vierten Kreuzzug geplündert. Nach der türkischen Eroberung Konstantinopels 1453 ließ Mehmed II. die Kirche in eine Moschee umwandeln.

Wann wurde die Hagia Sophia zu einer Moschee?

Vermutlich im 15. Jahrhundert wurde die Hagia Sophia in eine Moschee umgewandelt. 1609 diente sie als Moschee, 1850 beteten auch Christen in dem Gebäude.

Sind Hagia Sophia und die Blaue Moschee dasselbe?

Nein, die Blaue Moschee und die Hagia Sophia sind zwei völlig unterschiedliche Bauwerke. Beide sind sehr wichtige Sehenswürdigkeiten und ein Muss in Istanbul. Die Hagia Sophia, die ursprünglich im 6. Jahrhundert als Kirche gebaut wurde, befindet sich gegenüber der Blauen Moschee.

Wann wurde die Hagia Sophia zum Museum?

Diese wurde ab 1453 bis 1935 – und wird wieder seit 2020 – als Moschee genutzt. Von 1935 bis 2020 diente sie als Museum (Ayasofya Müzesi, „Hagia-Sophia-Museum“).