Geschichte wer ist gleich monika björn

Der Genitiv hat im Deutschen viele Bedeutungen, und bei manchen Konstruktionen sind mehrere Bedeutungen gleichzeitig möglich. Doppeldeutig ist etwa die Wendung „Denkmal der Schande“. Bedeuten kann sie einerseits, dass es sich um ein „Denkmal zur Erinnerung an eine Schande“ handelt. Andererseits und genauso aber kann damit ein „schändliches Denkmal“ gemeint sein.

Der frühere Gymnasiallehrer Björn Höcke, AfD-Fraktionschef und Landesvorsitzender seiner Partei in Thüringen, dürfte gebildet genug sein, um sich dieser Doppeldeutigkeit bewusst zu sein. Höcke sagte am Dienstagabend auf einer Veranstaltung der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) in Dresden mit Blick auf das Berliner Holocaust-Mahnmal folgenden Satz: „Wir Deutschen sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat.“

Ob Höcke hierbei nur eine der beiden möglichen Bedeutungen im Sinn hatte – und wenn: welche – wurde nicht klar. Hinterher jedoch, in einer am Mittwoch verschickten „Persönlichen Erklärung“, behauptete Höcke, es sei ihm nur um die Bedeutung „Denkmal zur Erinnerung an eine Schande“ gegangen. Er sei „erstaunt über die Berichterstattung“, schrieb Höcke. Denn tatsächlich habe er „den Holocaust, also den von Deutschen verübten Völkermord an den Juden, als Schande für unser Volk bezeichnet“.

Holocaust-Mahnmal

Das Holocaust-Mahnmal in Berlin

Quelle: dpa

Diesen Satz allerdings hatte er in seiner mehr als 40-minütigen Dresdner Rede nicht gesagt. Genauso wenig wie einen weiteren Satz seiner späteren „Erklärung“, nämlich, „dass wir Deutsche diesem auch heute noch unfassbaren Verbrechen, also dieser Schuld und der damit verbundenen Schande mitten in Berlin, ein Denkmal gesetzt haben“.

„AfD zeigt ihr wahres Gesicht“

Gesagt allerdings hat Höcke in Dresden viel über das, was im Denkmal für die ermordeten Juden Europas Gestalt annimmt, nämlich die deutsche Erinnerungskultur. „Diese dämliche Bewältigungspolitik“, so sagte Höcke, „die lähmt uns heute noch. Wir brauchen nichts anderes als eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad. Wir brauchen keine toten Riten mehr.“

Somit hat Höcke, Vordenker und Leitfigur des nationalreaktionären Flügels in der AfD, seine Partei einmal mehr auf eine völlige Abkehr von den bisher in Deutschland dominanten Formen historischer Erinnerung eingeschworen. Schockiert hat Höcke damit den Zentralrat der Juden in Deutschland.

Als „zutiefst empörend und völlig inakzeptabel“ bezeichnete der Zentralratsvorsitzende Josef Schuster Höckes Worte. „Dass 70 Jahre nach der Schoah solche Aussagen eines Politikers in Deutschland möglich sind, hätte ich nicht zu glauben gewagt“, sagte Schuster. „Die AfD zeigt mit diesen antisemitischen und in höchstem Maße menschenfeindlichen Worten ihr wahres Gesicht.“

JA gedenkt eines Vorkämpfers der Nationalsozialisten

Was hingegen der Veranstalter des Dresdner Höcke-Abends, die örtliche JA, unter Erinnerungskultur versteht, war erst wieder im November 2016 am Volkstrauertag zu erleben. Da erinnerte die JA Dresden im sächsischen Radeburg an den „mutigen und selbstlosen Kampf“, den unter anderem Albert Leo Schlageter (1894-1923) geführt habe.

Schlageter war ein rechtsextremer Freikorps-Soldat und terroristischer Vorkämpfer der Nationalsozialisten, die ihn im Dritten Reich als einen ihrer Märtyrer feierten. An die Mitglieder der JA gerichtet sagte Höcke nun in Dresden: „Ich möchte, dass ihr euch im Dienst verzehrt. Ich weise euch einen langen und entbehrungsreichen Weg.“

Dass es Höcke an dem Abend um die Grundsatzbestimmung einer völlig veränderten Erinnerungskultur ging, zeigte sich auch daran, dass er sich auf die Rede bezog, die 1985 der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker zur Erinnerung an das Kriegsende am 8. Mai 1945 gehalten hatte.

Jenen Tag hatte Weizsäcker damals „Tag der Befreiung“ genannt, während in rechtsextremen Kreisen das Kriegsende immer wieder als „Tag der Schande“ (Genitivkonstruktion!) bezeichnet wird. Höcke sagte am Dienstag, Weizsäckers damalige Rede sei „eine Rede gegen das eigene Volk“ gewesen.

Höcke wettert gegen die Alliierten

Zudem bezeichnete Höcke am Tag des Karlsruher NPD-Urteils die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 nicht nur als „Kriegsverbrechen“. Vielmehr unterstellte Höcke den Alllierten auch, sie hätten den Deutschen mit solchen Bombardierungen „nicht anderes als unsere kollektive deutsche Identität nehmen“ wollen. „Man wollte unsere Wurzeln roden“, behauptete Höcke, „und zusammen mit der nach 1945 begonnenen Umerziehung hat man das auch fast geschafft.“ Heute drohe „unsere Kultur nach einer umfassenden Amerikanisierung unterzugehen“.

Verfassungsgericht lehnt NPD-Verbot ab

Das Bundesverfassungsgericht hat den Antrag auf ein Verbot der NPD abgewiesen. Dafür fehle es an konkreten Anhaltspunkten, so die Begründung. Bereits 2003 war ein Verbotsantrag gegen die Partei gescheitert.

Quelle: Die Welt/Daniel Franz

Unterbrochen wurde Höcke bei seiner Rede von den rund 200 begeisterten AfD-Anhängern immer wieder durch rhythmisches Klatschen, zum Teil im Stehen, und durch Rufe wie „Höcke, Höcke“ oder „Wir sind das Volk“. Auf große Zustimmung stieß der Rechtsaußen seiner Partei auch, als er sagte, dass derzeit in Deutschland die Geschichte des Landes „mies und lächerlich“ gemacht werde.

Anstatt, so Höcke weiter, „die nachwachsende Generation mit den großen Wohltätern, den bekannten, weltbewegenden Philosophen, den Musikern, den genialen Entdeckern und Erfindern in Berührung zu bringen, von denen wir ja so viele haben, ... vielleicht mehr als jedes andere Volk auf dieser Welt“.

Der Linke-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm stellte am Mittwoch Strafanzeige gegen Höcke: Dieser zeige, dass „Geschichtsrevisionisten und rechtsextreme Chauvinisten“ bei der AfD ihr neues Zuhause finden sollten. Auch Sachsens Grünen-Chef Jürgen Kasek schloss eine Strafanzeige gegen Höcke nicht aus. Denn es sei relativ deutlich, dass sich der AfD-Politiker „im Stil des Nationalsozialismus“ verfassungsfeindlich geäußert habe.

Auch in seiner eigenen Partei löste Höcke scharfe Kritik aus. So schrieb der nordrhein-westfälische AfD-Landesvorsitzende Marcus Pretzell auf Facebook, Höcke drücke sich „zum wiederholten Male sehr missverständlich aus, um es vorsichtig zu formulieren".

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Weiter schrieb der mit AfD-Chefin Frauke Petry verheiratete Pretzell, Höcke treibe "kluge und kritische bürgerliche Wähler zurück in das Lager der Nichtwähler“ und mache damit jene „realistischen Veränderungen unmöglich", die Aufgabe der AfD seien. Noch schärfer wurde Frauke Petry selbst: „Björn Höcke ist mit seinen Alleingängen und ständigen Querschüssen zu einer Belastung für die Partei geworden“, sagte Petry der „Jungen Freiheit“.

Hierbei ist jedoch zu bedenken, dass Pretzell und Petry seit Langem mit Höcke tief verfeindet sind. Der aber wiederum ist ein Bundesgenosse von AfD-Vize Alexander Gauland im gemeinsamen Agieren gegen Petry und Pretzell, mit denen nämlich auch Gauland zerstritten ist. Gauland sagte derselben Zeitung: „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.“ Höckes Aussagen seien in Medienberichten ins Gegenteil verkehrt worden, und ihm, Gauland, sei „unverständlich, wieso einige Parteifreunde dies auch noch unterstützen“.

Gauland nahm Höcke zudem in Schutz. „Die Frage, ob man das mitten in die deutsche Hauptstadt stellen muss“, sei vor der Errichtung des Mahnmals breit diskutiert worden. Dass Höcke diese Frage nun noch einmal aufgeworfen habe, tauge nicht zum Skandal. Gauland sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Björn Höcke hat in keiner Weise Kritik an der Erinnerung an den Holocaust geübt.“ Wenn Höcke darauf hinweise, dass die Leistungen der deutschen Geschichte im öffentlichen Diskurs oftmals „unter der Erinnerung an diese zwölf Jahre“ verschwänden, sei das für ihn nachvollziehbar.

Eine dritte Sichtweise formulierte Bundesvorstandsmitglied Alice Weidel, die weder Höcke noch Gauland noch Petry zuzurechnen ist. Weidel erklärte auf dem Weg über die AfD-Pressestelle, „solche unsäglichen, rückwärtsgewandten Debatten“ seien „überflüssig und kontraproduktiv“. Weidel weiter: „Höckes Alleingänge schaden der Akzeptanz der Partei bei den Bürgern.“