Wie viele Obdachlose gibt es in Berlin?

Von fünf bis 10.000 obdachlosen Menschen, die in Berlin dauerhaft auf der Straße leben oder im Winter in Notübernachtungen der Kältehilfe unterkommen, waren Hilfsorganisationen bis jetzt ausgegangen. Knapp 2.000 sind nun in einer Nacht in der vergangenen Woche von ehrenamtlichen Helfern gezählt worden. Dass sich nun 8.000 Menschen vor den Zählern versteckt haben, hält Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach für unwahrscheinlich, aber alle hätte man in dieser Nacht eben nicht zählen können: "Ich weiß auch von Zählerinnen und Zählern, dass sie beispielsweise quasi Wagenburgen mit Autos gesehen hatten, wo man gesehen hat, dass da auch Menschen drin geschlafen haben. Aber wir hatten auch ganz klare Vorgaben gemacht. Und dann war auch klar, da wird jetzt nicht an den Wagen geklopft und die Menschen befragt."

In der "Nacht der Solidarität" hat Berlin als erste Stadt in Deutschland mit Hilfe von 2600 Freiwilligen die Obdachlosen auf der Straße gezählt. Knapp über 800 Menschen wurde dabei gefunden, die unter Brücken, auf Bänken, In Hauseingängen oder Zelten schliefen. Dazu kamen knapp 1000 in den Notübernachtungen und Wärmestuben und 160 in S- und U-Bahnen und Bahnhöfen. Henning Widelak war als ehrenamtlicher Zähler dabei. Normalerweise arbeitet er fürs Grünflächenamt, jetzt hat er ganz andere Seite seiner Stadt entdeckt: "Dieser Kontrast von Reichtum, brutalem Reichtum und wahnsinniger Armut, das ist das, was mich eigentlich hier besonders mitnimmt und was ich erschütternd finde."

Noch nicht alles ausgewertet

Auf Fragebögen vermerkt wurde, wo die Menschen schlafen, wie alt sie sind, wo sie herkommen, und wie lange sie schon keine Wohnung mehr haben – wenn sie sich freiwillig befragen ließen und darüber war die Meinungen der Obdachlosen an der Bahnhofsmission am Zoo durchaus unterschiedlich: "Guter Wille, ja das würde ich schon bescheinigen. Durch die Zählung verbessert sich nichts, das ist jetzt Thema und das geht dann drei Wochen durch die Presse und dann ist vorbei. Umso mehr Zählungen sind, umso besser. Umso mehr kann man auch denjenigen helfen, verstehst du, denen, die Hilfe brauchen."

Erst ein Teil der Fragebögen ist bis jetzt ausgewertet worden. Mit Hilfe der Ergebnisse will Berlin das Hilfsangebot für die Obdachlosen besser anpassen. Dass über die Hälfte der Obdachlosen aus EU-Staaten stammt, hatte Senatorin Elke Breitenbach erwartet. Dass sei eine Herausforderung, mit der die Städte und Gemeinden nicht alleine gelassen werden dürften: "Viele dieser Menschen haben keinen Anspruch auf Leistungen, das führt automatisch dazu, dass wir ihnen nicht nachhaltig helfen können, sie nicht nachhaltig unterstützen können, weil sie ausgeschlossen sind aus diesem Hilfesystem. Das heißt, die Bundesregierung steht hier tatsächlich auch in der Verantwortung zu handeln. Auch sie müssen die gleichen Leistungen in Anspruch nehmen können, wie alle anderen Menschen, die auf der Straße leben."

Geringer Frauenanteil

Elke Breitenbach setzt jetzt auf mehr Beratungsangeboten in Sprachen wie Bulgarisch oder Rumänisch und will demnächst ehemalige Obdachlose als Lotsen auf die Straße schicken: "Wir gehen davon aus, dass Menschen, die mal Obdachlose waren, eher einen Zugang haben zu jetzigen obdachlosen Menschen, weil sie deren Situation auch nochmal anders kennen und eine andere Ansprache finden, für eine niedrigschwellige Ansprache und eine Verweisberatung in andere Beratungsstellen. Ganz klar, die dürfen selbst nicht beraten, denn wir wollen hier nicht Sozialarbeitende ersetzen."

Dass nur 14 Prozent der Obdachlosen Frauen sind, hatte die Sozialsenatorin Elke Breitenbach zunächst überrascht. Maria, die jetzt über 60 Jahre alt ist und 17 Jahre auf der Straße gelebt hat, wundert das hingegen nicht: "Wir wissen, dass Frauen zu 50 Prozent versteckt irgendwo unterkommen. Wir wissen, dass die Zahlen bei Kindern und Jugendlichen noch viel größer sind, dass man sie zu 90 Prozent nicht erfassen kann, dass nur zehn Prozent irgendwo sind."

Kritik an Statistiken

Das Problem sieht auch Susanne Gerull, Armutsforscherin an der Alice Salomon Hochschule für soziale Arbeit, die die Zählung mitinitiiert hat. Weil bei der Straßenbefragung Privatgelände nicht betreten werden durfte, soll zusätzlich noch eine Unterbringungsstatistik erstellt werden: "Das heißt, wir versuchen dann nochmal die Hilfeeinrichtungen zu befragen, die dann auch nochmal nach dem Stichtag gucken, wie viele Menschen angeben, dass sie zum Stichtag eben in keiner Unterkunft waren. Und da können wir wieder einen Teil der Couchsurfer, einen Teil der Menschen, die in Kellern und Dachböden leben erfassen, aber eben auch nicht alle, denn nicht jede Person, die draußen lebt ist auch im Hilfesystem."

Für Maria, die sich in der Selbstverwaltung wohnungsloser Menschen engagiert ist das Erfassen und Zählen der Obdachlosen dabei ohnehin herausgeschmissenes Geld. Man brauche keine Statistiken, sondern Wohnungen: "Dieses Geld, was hier ausgegeben wird, könnte man sicherlich günstiger anwenden, indem man jemanden direkt hilft. Und wenn es nur zwei oder drei sind, die von diesem Geld eine Wohnung bekommen hätten, hätten zwei oder drei viele Probleme weniger.

Über acht Millionen hat Sozialsenatorin Breitenbach für die niedrigschwellige Obdachlosenhilfe im Jahr zur Verfügung. Wie das Geld nun passgenauer eingesetzt werden kann, soll auf eine Fachtagung und einer Strategiekonferenz im Frühjahr besprochen werden. Die Zählung soll im Sommer kommenden Jahres wiederholt werden.

Wie viele Obdachlose gibt es in Berlin 2022?

Im Bundesvergleich waren in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit jeweils knapp 36 000 Personen die meisten Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht, gefolgt von Berlin mit knapp 26 000 Personen.

Wie viele Obdachlose gibt es in Deutschland 2022?

Die Bundesregierung hat erstmals einen Bericht zur Lage der Wohnungslosen in Deutschland vorgelegt. Dieser zeigt, dass die Mehrzahl männlich ist und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. Fast 40.000 Menschen leben auf der Straße. Rund 263.000 Menschen haben in Deutschland kein festes Obdach.

Wo gibt es die meisten Obdachlosen in Berlin?

Berlin bringt jährlich zwischen 33.000 und 34.000 obdachlose oder wohnungslose Menschen in Unterkünften unter. Die meisten von ihnen bekommen in Berlin-Mitte einen Platz, wo 2020 insgesamt 4839 Menschen in solchen Einrichtungen lebten. Im Jahr davor lag die Zahl allein für den Bezirk Mitte bei 5919 Menschen.

Wie viele Menschen Leben auf der Straße in Berlin?

Nach Schätzungen der Wohlfahrtsverbände – eine offizielle Statistik gibt es nicht – leben zwischen 4.000 und 10.000 Menschen in Berlin auf der Straße, bis zu 25.000 haben keine feste Wohnung und gelten als wohnungslos.