Wer war der letzte Hingerichtete in Deutschland?

Das Foto zeigt Hamida Djandoubi im Februar 1977, als er von Polizisten durch einen Tunnel vom Verhandlungsraum im Gefängnis von Aix en Provence in eine Zelle gebracht wurde

(Foto: AFP)

Der Zuhälter Hamida Djandoubi nimmt noch einen Schluck Rum. Dann schnellt das Fallbeil nieder - vor 40 Jahren in Marseille.

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Lars Langenau

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Hamida Djandoubi weiß, dass er sterben wird. Im Morgengrauen des 10. September 1977. Decken liegen auf dem Boden des Ganges im Gefängnis Les Baumettes in Marseille. Sie sollen die Schritte derjenigen dämpfen, die den Häftling von seiner Zelle zur Hinrichtungsstätte führen. Der 28-Jährige hat seit einem Unfall nur noch ein Bein. Für seinen letzten Weg schnallen ihm die Wärter eine Prothese an. Am Ende des Weges setzen sie Djandoubi auf einen Stuhl.

Er beschwert sich, hat Wünsche. Nur das kann er noch tun, um sein Leben um einige Minuten zu verlängern. "Wie ein Kind, das das Zubettgehen mit allen Möglichkeiten noch hinausschieben will", protokolliert danach Untersuchungsrichterin Monique Mabelly. Zwei Filterzigaretten gestehen die Beamten Djandoubi noch zu, tief zieht er den Rauch in seine Lungen. Eine dritte Zigarette verweigert ihm Scharfrichter Marcel Chevalier: "Das reicht jetzt, wir waren großzügig genug, jetzt muss langsam Schluss ein."

Der Tunesier zuckt mit den Schultern und nimmt noch einen letzten Schluck Rum. Dann entblößt ihm der Sohn und Gehilfe des Henkers den oberen Rücken. Rasch bindet man ihm die Hände auf den Rücken und stellt ihn aufrecht hin.

Die Wärter öffnen eine Tür zum Innenhof, nun ist die "Maschine" zu sehen, daneben ein großer Korb. Plötzlich geht alles sehr schnell, schreibt Mabelly. "Ich wendete meinen Blick ab. Nicht aus Angst, aber aus einer Mischung aus Instinkt und tiefempfundener Scham (ich finde kein anders Wort)."

Um 4.40 Uhr schnellt das Fallbeil nieder. "Ich hörte ein dumpfes Geräusch. Ich drehte mich herum - Blut, sehr viel Blut, sehr rotes Blut - der Körper war in einen Weidenkorb gekippt. Innerhalb einer Sekunde war ein Leben beendet. Der Mann, der noch vor weniger als einer Minute gesprochen hatte, war nichts weiter als ein blauer Pyjama in einem Korb." Mit einem Wasserschlauch wird der Platz gereinigt. Die Richterin überkommen Übelkeit und "kalte Abscheu".

Drei Jahrzehnte danach übergibt der damalige Anwalt und spätere französische Justizminister Robert Badinter ihre Aufzeichnungen der Zeitung Le Monde. Deshalb wissen wir von den letzten Minuten im Leben von Hamida Djandoubi, dem letzten Menschen, der vor 40 Jahren durch die Guillotine starb.

Der Minister preist die Guillotine als "ein Symbol der Sicherheit"

Anfang 1977 hatte ein Geschworenengericht den gebürtigen Tunesier für schuldig gesprochen. Er hatte seine junge Freundin Elisabeth Bousquet mit Gewalt in die Prostitution gezwungen. Als sie ihn anzeigte, kam er ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung nahm er grausam Rache: Djandoubi folterte seine frühere Geliebte stundenlang, dann erdrosselte er sie. Dafür wurde er zum Tode verurteilt.

Obwohl der damalige französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing persönlich eine tiefe Abneigung gegen die Todesstrafe hat, lehnt er das Gnadengesuch von Djandoubi am 9. September 1977 ab. Weniger als 24 Stunden später wird die Exekution vollzogen.

Ein Bild und seine Geschichte

SZ.de zeigt in loser Folge jeweils ein besonderes Foto oder eine besondere Abbildung. Hinter manchen Aufnahmen und Bildern steckt eine konkrete Geschichte, andere stehen exemplarisch für historische Begebenheiten und Zeitumstände. Übersicht der bisher erschienenen Texte

Djandoubi ist auch der letzte Mensch, der in Westeuropa hingerichtet wird. Obwohl die Todesstrafe Ende der 70er Jahre auch noch in Belgien, Luxemburg und Irland im Gesetz steht, wird sie dort schon lange nicht mehr vollstreckt.

"Für die Mehrheit unserer Mitbürger ist die Guillotine noch ein Symbol der Sicherheit. Sie ist die letzte Zuflucht angesichts der schlimmsten Verbrechen und schließlich ein Abschreckungsmittel, mithin eine präventive Maßnahme gegen die Kriminalität", sagte noch 1979 der französische Justizminister Alain Peyrefitte dem Spiegel.

Am 18. Dezember 1987 bestätigte die Volkskammer der DDR die Abschaffung der Todesstrafe und gab grünes Licht für die entsprechende Änderung im Strafrecht des Landes. Verkündet hatte die Neuigkeit ein halbes Jahr zuvor, am 17. Juli 1987, bereits die "Aktuelle Kamera". Überraschend war für die meisten DDR-Bürger aber nicht die Abschaffung der Todesstrafe, sondern die Tatsache, dass es sie überhaupt noch gegeben hatte. Aber die Nachricht von der Abschaffung der Todesstrafe war auch nicht in erster Linie für die DDR-Bürger bestimmt, sondern sie sollte ein Signal in Richtung Westen sein. Honeckers Visite in der Bundesrepublik stand bevor. Und diesen Besuch wollte der SED-Chef mit guten Nachrichten in Sachen Menschenrechte vorbereiten.

Die Todesstrafe hatte es in der DDR von Anbeginn gegeben. In den 1950er-Jahren waren Schauprozesse mit Todesurteilen an der Tagesordnung. Hingerichtet wurden nationalsozialistische Kriegsverbrecher, aber auch sogenannte "Saboteure" oder "Agenten". Traurige Berühmtheit erlangten etwa die Prozesse im sächsischen Waldheim, in denen 1950 Dutzende Menschen zum Tode verurteilt worden waren.

Jedes Todesurteil war politisch abgesegnet

Hingerichtet wurden bis zum Ende der 1960er-Jahre aber auch Schwerverbrecher - Mörder und Sexualstraftäter. Nachweislich bis 1974 wurden sämtliche Todesurteile politisch abgesegnet. Sie mussten dem Politbüro der SED vorgelegt und von ihm bestätigt werden. Walter Ulbricht und Erich Honecker vermerkten auf dem Urteil "Einverstanden" oder "In Ordnung". Manchmal gaben sie aber auch Anweisungen an die Richter: "Urteil muss anders formuliert werden."

Ab den 1970er-Jahren breitete die SED den Mantel des Schweigens über die Hinrichtungspraxis in der DDR. Nach der Unterzeichnung der "Schlussakte von Helsinki" 1975, in der sich die europäischen Staaten unter anderem auch über eine Reihe von Menschenrechtsfragen geeinigt hatten, galt die Todesstrafe in Europa nicht mehr als opportun. Und Erich Honecker, besessen vom Wunsch nach internationaler Anerkennung der DDR, bestätigte Todesurteile nur noch in Ausnahmefällen. Hingerichtet wurden jetzt vorwiegend in Ungnade gefallene Mitarbeiter der Staatssicherheit. Das oberste Gebot hieß dabei: strikte Geheimhaltung. "Kreislaufversagen" oder "Herzinfarkt" stand auf den Todesscheinen.

Von der Guillotine zum "unerwarteten Nahschuss"

Die zentrale Hinrichtungsstätte war ab 1960 die Leipziger Strafvollzugseinrichtung in der Alfred-Kästner-Straße. Hier stand bis 1968 eine alte Guillotine. Nachdem sie mehrfach ihren Dienst versagt hatte und es zwei oder drei Anläufe brauchte, ehe der Delinquent tatsächlich tot war, ging man dazu über, die sowjetische Methode des "unerwarteten Nahschusses in das Hinterhaupt" anzuwenden. Der zum Tode Verurteilte wurde in einen Raum geführt, von hinten trat leise der Henker an ihn heran und erschoss ihn mit einer schallgedämpften Armeepistole.

Todesursache "Herzversagen"

Insgesamt haben DDR-Gerichte 221 Todesurteile ausgesprochen, davon wurden mutmaßlich 164 vollzogen, genaue Opferzahlen gibt es bis heute nicht.

Kurzer Prozess! Weil ich ein Humanist bin. [...] Das ganze Geschwafel von wegen nicht hinrichten, nicht Todesurteil – alles Käse, Genossen. Hinrichten, wenn nötig auch ohne Gerichtsurteil!

Das letzte Opfer der Todesstrafe war Werner Teske, Hauptmann der Staatssicherheit. Am 26. Juni 1981 wurde Werner Teske wegen "schwerwiegenden Landesverrats" in der Alfred-Kästner-Straße durch "unerwarteten Nahschuss in das Hinterhaupt" hingerichtet. Auf dem Totenschein steht als Todesursache "Herzversagen". Die Abschaffung der Todesstrafe war schließlich auch ein weiterer Schritt der DDR-Führung in ihrem Streben nach internationaler Anerkennung.

Wer war der letzte Hingerichtete in Deutschland?

Teske hatte sich mit geheimen Dokumenten in den Westen absetzen wollen. Sein Chef Erich Mielke wollte ein Exempel statuieren. Im Film "Mielkes Rache" erzählen Ute Bönnen und Gerald Endres seine Geschichte. Bildrechte: MDR/doc.station

In welchem Bundesland in Deutschland gibt es noch die Todesstrafe?

Die Todesstrafe ist seither in immer mehr Staaten abgeschafft worden, so in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz.

Wer war der letzte der in der DDR hingerichtet wurde?

Die Todesstrafe in der DDR 164 Todesurteile wurden vollstreckt. Das letzte Opfer der Todesstrafe war Stasi-Hauptmann Werner Teske. Er wurde am 26. Juni 1981 hingerichtet.

Was wurde aus Sabine Teske?

Am Vormittag des 26. Juni 1981 wurde Teske in Leipzig hingerichtet, es war das letzte vollstreckte Todesurteil auf deutschem Boden. Teske war kein Mörder und auch kein spät enttarnter NS-Verbrecher. Er war Mitglied des Systems, ein Hauptmann in Diensten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Wer wurde in der DDR hingerichtet?

Liste der Hingerichteten (Auszug).