Wer ist bei der klausureinsicht dabei

Es ist ein Wunsch aller Prüflinge: Nach der Staatsprüfung möchte man gerne sehen, welches Korrekturschicksal die eigenen Klausuren erlitten haben. Wer sich diesen Wunsch erfüllen möchte, muss gegenwärtig noch einen bürokratischen Hürdenlauf absolvieren. Dafür sehen die Länderregelungen unterschiedliche Prozeduren vor. Viel Zeit hat man nicht, es läuft nur eine kurze Monatsfrist. 

Große zeitliche Flexibilität gibt es dabei auch nicht. Häufig müssen sich Prüflinge auf Bürostunden einrichten ("In der Zeit von 9.00 Uhr bis 11.30 Uhr sind wir montags bis freitags in Zimmer 6 für Sie da.") Und selbst, ob man Kopien anfertigen darf oder sich auf handschriftliche Notizen beschränken muss, ist vielerorts umstritten. 

Immerhin: Einige Bundesländer kommen den Kandidaten etwas entgegen. In logistischer Hinsicht ist das etwa in Niedersachsen der Fall. Dort kann man sich die Prüfungsakte an ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit übersenden lassen, um dann bei Gericht Einsicht zu nehmen – dafür entsteht aber natürlich eine Gebühr. Und in Nordrhein-Westfalen ist es gar möglich, innerhalb der Monatsfrist gegen Kostenerstattung Kopien der Bearbeitungen und der Aufgabentexte anzufordern. Das kostet dann für die ersten 50 Seiten (vorzuleistende) 50 Cent pro Seite. Danach wird es mit 15 Cent pro Seite preiswerter. Prüflinge in Bundesländern ohne diesen (wenn auch teuren) Service müssen einen Anwalt einschalten, damit dieser eine Kopierchance hat.

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Eigentlich ist das alles Geschichte

Seit dem 20. Dezember 2017 ist das – bisher allerdings hierzulande unbemerkt - alles Geschichte. Zu verdanken haben wir das Peter Nowak aus Irland und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH). Nachdem Peter Nowak in einer Prüfung durchgefallen war, hatte er zunächst erfolglos Beschwerde gegen das Prüfungsergebnis eingelegt. Danach stellte er bei der prüfenden Einrichtung einen Antrag auf Auskunft, der sich auf sämtliche dort befindlichen ihn betreffenden personenbezogenen Daten erstreckte. Die originelle Idee war dabei die, dass er auf diese Weise auch seine Prüfungsarbeit zu erhalten hoffte, denn diese sah er als "personenbezogenes Datum" an. Die Herausgabe der Prüfungsarbeit wurde indessen mit der Begründung abgelehnt, diese enthalte keine personenbezogenen Daten im Sinne des (irischen) Datenschutzgesetzes. Dieser ablehnenden Auffassung schlossen sich der Datenschutzbeauftragte und weitere Gerichtsinstanzen an. 

Erst der Oberste Gerichtshof Irlands sah sich veranlasst, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob Informationen, die von einem Prüfling in einer berufsbezogenen Prüfung in seiner Antwort bzw. als Antwort aufgezeichnet wurden, personenbezogene Daten im Sinne der Richtlinie 95/46 darstellen können. Der EuGH hat das in der Rechtssache C-434/16 bejaht:

"Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die schriftlichen Antworten eines Prüflings in einer berufsbezogenen Prüfung und etwaige Anmerkungen des Prüfers zu diesen Antworten ‚personenbezogene Daten‘ im Sinne dieser Bestimmung darstellen."

Eine besondere Pointe ist es, dass die Anmerkungen des Prüfers als auf den Prüfling bezogene Informationen und damit als personenbezogene Daten (auch) des Prüflings angesehen werden. Diese Zuordnung "wird nicht dadurch entkräftet, dass diese Anmerkungen zugleich Informationen über den Prüfer darstellen".

Was das in Zukunft bedeutet

Bleibt vorher noch eine Frage zu klären: Da die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), die am 25. Mai 2018 in Kraft tritt, die Richtlinie 95/46 mit Wirkung von diesem Datum an aufhebt, ist zunächst offen, ob die Entscheidung des EuGH unter der DSGVO Bestand haben wird. Denn die im Leitsatz zitierte Richtlinie gilt dann ja nicht mehr. 

Die Antwort darauf gibt der EuGH implizit, indem er zwar unter  die Richtlinie 95/46 subsumiert, zugleich aber in den Randnummern 11-13 seiner Entscheidung die Parallelvorschriften aus der DSGVO aufführt und bei der Erörterung von Grenzen des Auskunftsrechts die DSGVO parallel zur Richtlinie 95/46 heranzieht (Rn. 59-61).

In Abwandlung des bekannten Kirchmann'schen Diktums kann man sagen: Eine Entscheidung des EuGH und ganze Papierberge von Regelungen zur Einsichtnahme in Prüfungsarbeiten werden zu Makulatur. Prüflinge, die Einsicht nehmen wollen, können sich auf die EuGH-Entscheidung berufen und einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegenüber den Prüfungsämtern geltend machen. 

Wie man sich sogar die Kopierkosten sparen kann

Wenn man daran geht, die prüfungsrechtlichen Vorschriften zur Akteneinsicht europarechtskonform auszugestalten, sind noch einige weitere Anregungen des EuGH zu berücksichtigen. Zu diesen Hausaufgaben für die Prüfungsämter gehört es nach der Entscheidung nämlich unter anderem, über einen Löschungsanspruch nachzudenken. Denn: Ein Prüfling hat möglicherweise das Recht zu verlangen, dass seine Prüfungsantworten und die Anmerkungen des Prüfers dazu nach einem bestimmten Zeitraum gelöscht werden, das heißt, dass die Arbeit zerstört wird. 

Nur eines geht nicht: Der Prüfling kann nicht verlangen, dass seine falschen Antworten im Wege der Berichtigung in zutreffende verwandelt werden, so wie Irland das in seiner Stellungnahme befürchtet hatte. Das halten die Luxemburger Richter ausdrücklich fest.

Ein kleiner Trost bleibt den Prüfungsämtern: Der Auskunftsanspruch erstreckt sich nicht auf Prüfungsfragen, da diese nicht personenbezogene Daten des Prüflings seien, so der EuGH. Es wird ja hier und da – aus welchen Gründen auch immer - einiger Aufwand betrieben, um die Aufgabenstellungen "abzuschirmen". 

Die Behörden sollten bei Gelegenheit der nötigen Gesamtrevision der Klausureinsichtnahme gleich dem guten Beispiel Nordrhein-Westfalens folgen. Denn dort kann man "gegen Kostenerstattung Kopien der Bearbeitungen und der Aufgabentexte" anfordern. Allerdings: Nur bei der Kostenerstattung kann es nicht bleiben. Denn das ist das Sahnehäubchen in der EuGH-Entscheidung, die Art. 15 Abs. 3 DSGVO zitiert. Diese Bestimmung lautet:

"Der Verantwortliche stellt eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung. Für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person beantragt, kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen. Stellt die betroffene Person den Antrag elektronisch, so sind die Informationen in einem gängigen elektronischen Format zur Verfügung zu stellen, sofern sie nichts anderes angibt."

Also gilt nun europarechtlich: Post ans Prüfungsamt genügt und die Kopien der Klausuren mit Prüferbemerkungen kommen kostenlos ins Haus,  gegebenenfalls sogar elektronisch. Die Autorin Marie Herberger, LL. M. ist Doktorandin an der Universität des Saarlandes. In Ihrem Blog "Klartext Jura"  schreibt sie zu studienrelevanten Themen.

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2018 M02 22

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