Und gott wird abwischen alle tränen von ihren augen

Einleitung und Predigttext

Ihr Lieben am heutigen Ewigkeitssonntag wollen wir auf einen Text der Bibel hören, der mit zu den berührensten Texten gehört, die ich überhaupt kenne. Bei fast jeder Beerdigung habe ich ihn als Schriftlesung, weil mir da soviel Hoffnung entgegenstrahlt aus diesem Text.

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Wir hören auf das Predigtwort aus der großen Vision des Johannes, wie sie im Buch der Offenbarung festgehalten wurde.

1Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr. 2Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann. 3Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, dieHütte Gottes bei den Menschen! Under wird bei ihnen wohnen, undsie werden seine Völkersein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;4 undGott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein,noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. 5Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss! 6Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende.Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.7Wer überwindet, der wird dies ererben, und ich werde sein Gott sein und er wird mein Sohn sein.

Johannes hat diese Worte aufgeschrieben. Circa 100 nach Christus. Er sitzt auf einer kleinen griechischen Insel namens Patmos. Dorthin wurde er verbannt, als Leiter einer christlichen Gemeinde” und dort empfing er die Visionen und schrieb sie auf. Und zwar für all die anderen Christen, die auch verfolgt wurden. Denen es ähnlich ging wie ihm. Unzählige Christen wurden zu dieser Zeit bedroht, verfolgt und bestraft.

Viele waren verzweifelt und hatten Angst, trauerten um ihre Lieben, fürchteten sich vor dem eigenen Leid und ja sogar Tod.

Für sie schreibt er all die Bilder auf, die er gesehen hat. Die ihm Gott gezeigt hat. Um ihnen zu sagen: haltet durch. Bleibt bei dem, was ihr glaubt und worauf ihr hofft. Egal was kommt. Am Ende wird alles anders werden.

Johannes sieht und hört, wie Gott etwas Neues schafft. Nicht das Alte einfach ein bisschen besser oder heller macht. Nein, er hört Gott sagen: „Siehe, ich mache alles neu“. Da wird nicht hier und dort ein bisschen rumrepariert und schon läuft es wieder. Nein, etwas völlig Neues entsteht. Ein neuer Himmel, eine neue Erde. Das himmlische Jerusalem.

Der, wie ich finde, intimste Moment in diesem ganzen Text ist die Stelle „Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen“

Viele von uns hier haben in den letzten Wochen und Monaten Tränen vergossen. Am Bett eines geliebten Menschen. Vielleicht auch weit weg. Am Grab oder zu Hause.

Ganz im Verborgenen oder gemeinsam mit anderen. Still und leise oder laut und heftig.

Tränen um einen Menschen, der nun fehlt. Tränen, weil es weh tut.

Tränen der Verzweiflung: Wie soll das Leben weiter gehen?

Tränen um versäumte Momente. Um das, was nicht war und was doch hätte sein können.

Tränen, die nicht aufhören wollen zu fließen. Oder die noch nicht nach draußen können.

Es ist gut, wenn wir weinen können. Tränen müssen fließen, damit der Schmerz sich nicht festsetzt. Und die Traurigkeit nicht erstarrt.

Tränen sind kostbar. Sie erzählen Geschichten.

Geschichten von gemeinsam gelebtem Leben. Geschichten von Träumen und Zukunft. Von Hoffnung und Freude. Aber auch Geschichten von Schmerz und Verzweiflung.

Auch die Bibel kennt viele tränenreiche Geschichten und berichtet immer wieder von Menschen, die weinen und in ihrer Traurigkeit über einen verlorenen Menschen ihre Tränen vor Gott bringen.

Abraham weint um seine Frau Sara.

Jakob trauert um seinen Sohn Josef, den er für tod hielt.

David wird in seiner Trauer um seinen Sohn Absalom fast irre. „Wollte Gott ich wäre für ihn gestorben.“ Das Übermaß seiner Trauer hindert ihn fast am Weiterleben.

Im Johannesevangelium heißt es: Und Jesus weinte.

Jesus weinte, weil sein Freund Lazarus gestorben ist. Luther übersetzt diese Stelle so: „Es gingen ihm die Augen über.“ Ich mag diese Übersetzung, denn es heißt nichts anderes als: Jesus weinte Rotz und Wasser. Und das beschreibt, was wir alle so gut kennen.

Angesichts des Todes steigen die Tränen in die Augen, die Stimme versagt. Das kennt auch Jesus.

Der Gedanke an die Auferstehung kann uns ein Trost sein – wenn das einer wissen sollte, dann doch wohl Jesus. Aber auch diese Hoffnung lindert doch nicht den Schmerz.

Und dennoch: Unendlich schön und vielfältig redet die Bibel vom Himmel.

Jesus spricht von den vielen Wohnungen, die uns bereitet sind. Paulus schreibt davon, dass unsere Heimat im Himmel ist. Und Johannes erzählt von einer neuen Welt. Einer Welt, in der Gott all unsere Tränen abwischen wird.

Wenn als Kind gar nichts mehr half, wenn nichts mehr tröstete: kein Wegpusten des Schmerzes, kein Umarmen und Festhalten, keine leisen, beruhigenden Worte, nahm meine Mutter ganz hofft einfach den Ärmel ihres Pullovers und trocknete damit die Tränen, wenns sein musste auch immer und immer wieder.

Eine solche Gebärde des Trostes beschreibt der Text. Gott nimmt seinen Pulloverärmel und trocknet meine Tränen. Ganz zärtlich und liebevoll, ganz nahe kommt Gott mir da.

In einem Psalm betet einer: „Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug.“

Wer diese Worte so formuliert, ahnt, dass kein Mensch die tiefe Trauer heilen kann. Dass kein Mensch die Lücke schließen kann, die der Tod hinterlässt.

„Gott, sammle meine Tränen in deinem Krug.“ (Ps 56,8)

Keine Träne soll verloren gehen. Auch die kleinste Träne nicht, die ich geweint habe, die ich noch weinen muss oder schon gar nicht mehr weinen kann.

Jede Träne, die wir weinen, wird von ihm zärtlich aufgefangen. Keine geht verloren, keine wird übersehen oder übergangen. Gott nimmt die Trauer ernst und ist uns in der Trauer näher, als wir manchmal ahnen.

Und einmal, so verspricht es der Text, wird die Zeit sein, in der Gott alle Tränen abwischen wird und der Tod nicht mehr sein wird.

Eine Zeit, in der Ruhe einkehrt und Frieden.

Alle Schmerzen haben ein Ende. Alle Ohnmacht, alles Tun, alles Fragen und Weinen.

Es gibt eine Zeit nach dem Schmerz, eine Zeit nach der Trauer, eine Zeit nach den Tränen.

Für manche ist das schwer vorstellbar. Andere spüren es schon, wenn ein Jahr vergangen ist, oder zwei. Die Tränen kommen seltener, sie gehören in den Alltag, sie kommen, und sie gehen auch. Und manche Menschen spüren Dankbarkeit. Für das, was war. Für das, was zu Ende gehen musste. Für das, was so nicht weitergehen konnte. Dankbarkeit für gemeinsame, kostbare Zeit.

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Schmerz wird mehr sein, denn das Erste ist vergangen.

Das sagt die Bibel, in der großartigen Vision des Sehers Johannes. Ganz hinten steht es, im letzten Buch der Bibel. Mit starken gewaltigen Bildern und voller Poesie: Ein neuer Himmel, eine neue Erde, das neue Jerusalem, und Gott wohnt bei den Menschen. Gott an der Seite der Menschen. Zärtlich wischt er ihre Tränen ab, kein Tod mehr, kein Leid, kein Schmerz mehr. Gott macht alles neu.

Auf diese neue Welt hoffe ich – und es gibt Momente, in denen ich außer dieser Hoffnung nichts mehr habe. Aber ich selber habe erfahren, dass mir diese Hoffnung Trost spenden kann.

Bis die neue Welt kommt, werden noch Tränen geweint werden. Aber weil ich das, was Johannes beschrieben hat, glaube und darauf hoffe, kann ich heute schon manche Träne abwischen, weil ich weiß, dass sie mir einst für immer abgewischt werden. Amen.