Blut ist dicker als Wasser, aber Wasser ist reiner

Mit niemandem sonst als mit den Geschwistern wachsen wir so nah beieinander auf. Sie sind diejenigen, mit denen wir im Elternhaus von der Geburt bis zum Auszug am engsten zusammenleben und auf gleicher Ebene Sozialverhalten und Selbstbehauptung lernen und „üben“. Sie sind unsere ersten Buddies/Pears, die uns unmittelbares, schonungsloses Feedback geben, die unsere empfindlichsten Punkte kennen, die uns total schnell auf die Palme bringen können, mit denen wir aber auch Geheimnisse teilen, uns ggfs. auch gegen die Eltern oder andere im Außen verbünden können - die uns am Vertrautesten sind.

Viele Frauen beschreiben, dass sie auch schöne, unbeschwerte Kindheits-erinnerungen mit ihren Schwestern bzw. Brüdern haben.

Umso schmerzvoller werden Erfahrungen von Krisen, Entfremdung oder Kontaktabbrüchen im Erwachsenenalter erlebt. Zum Teil werden ausweglose Dilemma und großer Leidensdruck empfunden: einerseits ist da die Sehnsucht nach Nähe, Augenhöhe, Kontakt und Austausch, andererseits gibt es untereinander Konkurrenz, Neid, Missverständnis und Kränkungen.

Neben den verständlichen Wünschen nach Verbundenheit und Harmonie mit der Schwester / dem Bruder besteht zusätzlich auch eine gesellschaftliche Erwartung - es ist fast wie ein Paradigma: "Wir sind doch eine Familie!" "Wir sind doch Geschwister!"
und:

"Blut ist dicker als Wasser!"

Heutzutage wird diese Redewendung sehr oft als Erklärung dafür genommen, warum wir uns unserer Familie, den Eltern und Geschwistern "irgendwie" verbunden fühlen müssen. Es ist ja auch so, dass diese Beziehungen sehr nah und emotional sind und oft unter die Haut gehen.

Doch ist aus dieser Redewendung eine Erwartung, ein Paradigma geworden: es sollte so sein und es ist richtig, sich nah zu fühlen, harmonisch miteinander zu sein und zusammenzuhalten! Und es ist nicht richtig, wenn man nicht die Verbundenheit und Nähe spürt und lieber ein distanzierteres Verhältnis zueinander lebt oder sich wünscht.

Aus dieser Überzeugung "Es darf so nicht sein, so ist es eigentlich nicht richtig" entstehen innerer Zwiespalt und Unfrieden. Schnell werden dafür Gründe, vermeintliche Fehler und Schuldige gesucht - Geschwister in der Krise.

Dabei wird hier der Spruch: "Blut ist dicker als Wasser" genau gegenteilig interpretiert zu dem wie er ursprünglich gemeint war, nämlich: eine Verbindung durch einen "Blutvertrag" ist stärker als die Bindung "an seinen Bruder". (Original: 'The blood of the covenant is thicker than the water of the womb.' 'Das Blut der Bruderschaft ist dicker als das Wasser des Mutterleibes.') Das Sprichwort bezieht sich auf den Abschluss von Blutverträgen zuzeiten des Alten Testaments, zu dem ein Tier geschlachtet wurde. Wasser verwendeten die Menschen lediglich bei der Taufe oder Geburt eines Kindes, auch das Fruchtwasser ist hier mit gemeint. Ein Blutvertrag wurde also als sehr viel verbindlicher betrachtet.

Wenn wir Freundschaften schließen, tun wir dies meist sehr bewusst und sind bemüht, die Beziehung gut zu pflegen.

Unsere Geschwister suchen wir uns nicht aus - sie sind einfach da, ob wir wollen oder nicht.

Sich nah und verbunden zu fühlen, ist daher ein Geschenk und nicht selbstverständlich. Und Geschwister können – wie bei Freundschaften - etwas dafür tun, um die Beziehung positiv zu gestalten.

Wechsel der Blickrichtung
Wie wäre es, der Schwester oder dem Bruder zu begegnen wie Menschen, die man sich zu Freund/innen machen will, ohne die Erwartung und Überzeugung, dass man sich von Natur aus verbunden fühlen muss und dass die Geschwister so oder so zu sein hätten!?

Wie wäre es, das alte Kapitel mit den alten Verletzungen, Rollen- und Schuldzuschreibungen abzuschließen und ein neues zu öffnen: den Geschwistern offen und neugierig zu begegnen und sie neu kennen zu lernen. „Wie hast du dich eigentlich als Kind und Jugendliche erlebt?“ „Was bewegt dich heute wirklich?“ –
eben genau so, wie man eine neue Freundin / einen neuen Freund danach fragen würde.

Wenn Geschwister lernen, immer wieder ihre gegenseitigen Erwartungen zu überprüfen und sich mit Interesse und Neugier und einer inneren Haltung von "Ah, so erlebst du dies also!" zu begegnen, werden sie sich immer seltener als 'Geschwister in der Krise' wiederfinden oder darin stecken bleiben.

– das Sprichwort auf nicht miteinander verwandte Personen bezogen, die aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zusammenhalten.

Varianten#

Formvarianten#

Keine Angabe

Ersetzung von Komponenten#

Keine Angabe

Variantenkomponenten#

Keine Angabe

Typische Verwendung im Text#

Keine Angabe

Belege#

(Abschnitt Bedeutung(en)):

Manche Regeln des Menschen sind älter als seine Sprache [...]. Diese Regeln finden sich dann, in unterschiedlicher Form aber mit fast gleicher Bedeutung, bei nahezu allen Völkern der Welt [...]. Eines dieser ewigen Gesetze der Menschheit heißt auf europäisch " Blut ist dicker als Wasser ". Blut meint hier Verwandtschaft - Brüder, Schwestern, Mütter, Väter und der Rest der Sippe, so sprach wohl schon der mittelhochdeutsche Volksmund im 12. Jahrhundert, halten im Zweifel stärker zueinander als zu bloßen Freunden oder gar eindeutig Fremden. SPK/J07.00161 spektrumdirekt, 14.02.2007; Kennen wir uns?


(Abschnitt Bedeutung(en)):

Der Herr spielt seinen plötzlichen Vorteil aus und degradiert meinen Bruder mit einigen Blicken zu einem ungebildeten Emporkömmling. Aber Blut ist dicker als Wasser , und so stauche ich den Überlegenen auf Normalmaß zurück [...]. R97/OKT.83480 Frankfurter Rundschau, 23.10.1997, S. 3, Ressort: DIE SEITE 3; Im Prozeß um die Fiszman-Entführung nutzen die Anwälte die zerrütteten Familienverhältnisse der Angeklagten


(Abschnitt Bedeutung(en)):

Auch im weiteren Verlauf der Entführung will Sven immer am Rande geblieben und dem Vater nur zur Hand gegangen sein als sie am 3. Oktober den Kaufmann gemeinsam in ein Versteck bringen [...] Daß an diesem Tag im Wald nahe dem Taunusort Reckenroth Jakub Fiszman womöglich von Rainer Körppen erschlagen worden ist, das sagt der Sohn nicht direkt, legt es aber nahe. Endres konnte, nachdem sein Mandant ausgesagt hatte, den Medien die Abhängikeit des Sven Körppen klarmachen: " Blut ist dicker als Wasser , sagt man, und meint damit, daß Familienbande so stark sind, daß sie jeder Zerreißprobe standhalten. Das trifft auch auf die Fußballfamilie zu", fabuliert der neueste Fifa-Geschäftsbericht. Gegen diese Blutsbande waren die Reformer um den Schweden Johansson ohne Chance. B98/JUN.35637 Berliner Zeitung, 10.06.1998; Mit Petrodollar und Familienbanden [S. 40]