Banks wenn die dunkelheit fällt

Peter Robinson, geboren in Yorkshire, lebt seit über zwanzig Jahren in Toronto, Kanada. Mit seiner Serie um Inspector Alan Banks ist er diesseits und jenseits des Atlantiks erfolgreich und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet worden.

Leseprobe. Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber. Alle Rechte vorbehalten.

Als sie zu bluten begann, wurde sie in den Käfig gesperrt.
Tom war schon seit drei Tagen drin. Er weinte nicht mehr,
aber er zitterte. Es war Februar, der Keller war nicht geheizt,
und beide waren nackt. Zu essen würde es auch nichts geben,
das wusste sie. Erst dann wieder, wenn sie so viel Hunger
hatte, dass es sich anfühlte, als würde sie von innen aufgefressen.
Es war nicht das erste Mal, dass sie in den Käfig gesperrt
wurde, aber diesmal war es etwas anderes. Früher
wurde sie reingesteckt, weil sie etwas falsch gemacht oder
nicht getan hatte, was von ihr verlangt wurde. Jetzt gab es
einen anderen Grund: Sie hatte sich verändert, und das
machte ihr große Angst.
Sobald die Tür oben an der Treppe verschlossen wurde,
hüllte die Dunkelheit sie ein wie ein Pelz. Die Dunkelheit
strich ihr über die Haut, schmiegte sich an ihre Beine wie eine
Katze. Sie begann zu zittern. Sie hasste den Käfig mehr als
alles andere, mehr als die Schläge, mehr als die Demütigungen.
Aber sie würde nicht weinen. Sie weinte nie. Das konnte
sie nicht. Der Gestank war unerträglich; es gab keine Toilette,
nur einen Eimer in der Ecke, der erst geleert wurde, wenn sie
herausgelassen wurden. Und wer wusste, wie lange das noch
dauern würde.
Noch schlimmer als der Gestank waren die leise scharrenden
Geräusche, die begannen kurz nachdem sie eingeschlossen
worden waren. Gleich würde es anfangen, kleine
Füße würden über ihre Beine oder ihren Bauch huschen, sobald
sie wagte, sich hinzulegen. Beim ersten Mal hatte sie
versucht, in Bewegung zu bleiben und Krach zu machen, um
sich die Tiere vom Hals zu halten. Aber irgendwann war sie
müde geworden und eingeschlafen, irgendwann war ihr egal
gewesen, wie viele es waren und was sie machten. Die Bewegungen
und das Gewicht verrieten ihr auch im Dunkeln,
ob es Ratten oder Mäuse waren. Die Ratten waren schlimmer.
Eine hatte sie sogar mal gebissen.
Sie versuchte Tom zu trösten. Sie nahm ihn in den Arm,
damit ihnen beiden ein wenig wärmer wurde. Um ehrlich zu
sein, hätte sie selbst ein bisschen Trost gebrauchen können,
aber es war niemand da, der ihn hätte spenden können.
Mäuse huschten ihr über die Füße. Hin und wieder ruckte
sie mit dem Bein, und quiekend prallte eine Maus gegen die
Wand. Oben wurde laute Musik gespielt, der Bass brachte
die Käfigstangen zum Vibrieren.
Sie schloss die Augen und versuchte, tief in sich eine Zuflucht
zu finden, einen Ort, an dem alles warm und golden
war, an dem sich das dunkelblaue Meer am Strand brach,
das Wasser warm war und angenehm wie Sonnenlicht. Aber
es gelang ihr nicht. Sie konnte den Sandstrand und das blaue
Meer, den Garten voll bunter Blumen, den kühlen grünen
Sommerwald nicht finden. Wenn sie die Augen schloss, gab
es nur rot gestreifte Dunkelheit, fernes Gemurmel, Schreie
und eine entsetzliche Angst.
Immer wieder nickte sie ein, die Mäuse und Ratten beachtete
sie nicht mehr. Sie wusste nicht, wie lange sie unten
gewesen war, als es oben laut wurde. Ein anderer Lärm. Die
Musik war längst aus, es war ganz still im Keller, abgesehen
vom Gescharre und Toms Atem. Sie meinte, draußen ein
Auto halten zu hören. Stimmen. Noch ein Auto. Dann ging
jemand oben durchs Zimmer. Fluchte.
Plötzlich war die Hölle los. Es klang, als würde ein Baumstamm
gegen die Haustür gerammt, dann gab es ein knirschendes
Geräusch, gefolgt von einem lauten Knall. Die Tür
hatte nachgegeben. Tom wachte auf und wimmerte in ihren
Armen. Sie hörte Geschrei und Getrampel, als liefen oben
viele Erwachsene herum. Nach einer Ewigkeit wurde das
Schloss der Kellertür aufgestemmt. Ein bisschen Licht fiel
herein. Unten war keine Lampe. Dann stachen die Lichtkegel
greller Taschenlampen ins Dunkel, kamen näher, so nah,
dass sie sie blendeten. Sie hielt sich die Augen zu. Der Lichtstrahl
blieb auf ihr ruhen, und eine seltsame Stimme rief:
"Du meine Güte! Ach, du meine Güte!"

Zwei Polizisten werden zu einem Haus gerufen, in dem ein Ehestreit stattfindet. Die Ehefrau Lucy Payne liegt bewusstlos im Flur. Als Sergeant Dennis Morrissey in den Keller geht, um nach dem Ehemann zu suchen, geschieht Schreckliches: Er wird von hinten angegriffen und mit einer Machete tödlich verletzt. Seine Kollegin Janet Taylor kann Terence Payne dingfest machen, aber dann rastet sie aus und schlägt mit dem Knüppel noch auf ihn ein, obwohl sie ihn schon gefesselt hat. Was im Keller des Hauses gefunden wird, ruft echtes Grauen hervor. Nach und nach werden die Leichen von sechs jungen Frauen gefunden, das letzte Opfer lag noch gefesselt auf der Matratze, missbraucht und gefoltert. Es scheint, als habe die SOKO "Chamäleon" zufällig ihren Mörder gefunden, der für das Verschwinden von fünf jungen blonden Mädchen verantwortlich ist.

Alan Banks, leitender Beamter der SOKO, fragt sich, warum Lucy nichts vom Treiben ihres Mannes mitbekommen hat. Er schaltet die Psychologin Dr. Jenny Fuller als Profiler in die Ermittlungen ein. Von einer Nachbarin erfährt er, dass Lucy von ihrem Ehemann misshandelt wurde. Sie selbst verweigert die Aussage, beruft sich auf eine Amnesie. Als Terence Payne seinen Verletzungen erliegt, ändert sich nicht nur für Lucy die Situation, sondern auch für die Beamtin, die ihn auf dem Gewissen hat. Auch hier sind die internen Ermittlungen im Gange.

Das Grauen steht am Anfang der Geschichte und der Anfang ist so düster, dass ich eigentlich nach der ersten Seite gar nicht weiterlesen wollte, aber dann hat es mich ganz und gar gepackt. Im Mittelpunkt der Ermittlungen steht ein Inspector, aber dennoch unterscheidet sich die Story von den üblichen britischen Polizei-Romanen (Police Procedural), sie ist wesentlich psychologischer aufgebaut. Habe ich nach der Lektüre von Die letzte Rechnung Alan Banks noch mit Inspector Wexford (Ruth Rendell) verglichen, so möchte ich hier mein Urteil einschränken. Auch wenn Wexford Schlimmes durchmachen musste als z.B. seine Frau gekidnappt wurde, so ist die ganze Atmosphäre hier wesentlich packender beschrieben als in den meisten Wexford-Romanen, höchstens vergleichbar mit der Story in Eine entwaffnende Frau. Die Hauptfigur gefiel mir von Anfang an. Sie erhält Tiefe durch der Schilderung der privaten Probleme. Es scheint symptomatisch zu sein: Wie viele Polizisten hat auch Alan Banks eine gescheiterte Ehe hinter sich und die Beziehung mit einer Kollegin funktioniert auch nicht so recht.

Mit Hilfe häufig wechselnder Szenen, an die einige Seiten später wieder angeknüpft wird, gelingt es Peter Robinson, eine unheimliche Spannung aufzubauen. So entsteht der Eindruck, dass die Ereignisse zeitgleich geschehen und das macht die Geschichte mehrdimensional: Nicht nur die grausamen Funde im Keller spielen eine Rolle, sondern auch die Ermittlungen gegen die Polizistin, die Terence Payne niederschlug, die Kindheit von Lucy Payne, Misshandlung von Frauen in der Ehe etc.

Langsam wird der Leser an die Geschichte herangeführt, von langer Hand vorbereitet: keine unaufgelösten Handlungsstränge, kein schnelles Zusammenstricken eines Showdowns. Peter Robinson hat hier einen feinen Teppich gewebt, der mich ganz und gar gefangen genommen hat. Summa summarum ist "Wenn die Dunkelheit fällt" ein gelungener Krimi, der zwar wenig Überraschungsmomente bereithält, aber solide konstruiert ist. Er hinterlässt eine gewisse Nachdenklichkeit. So wie ich anfangs zögerte, den Roman zu beginnen, so verlangt er nach dem Lesen ebenfalls eine Pause, insofern schließt sich der Kreis.

Peter Robinson, Ullstein

Wenn die Dunkelheit fällt

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