Warum bringen die rettungsschiffe die migranten nicht gleich nach hamburg

Italien hat, so meinen Kritiker, einen „Krieg“ gegen Migranten und Seenotretter wiedereröffnet. Konsequenzen zeigen sich bereits.

Reggio Calabria/Rom – Schon kurz nach Amtsantritt von Giorgia Meloni geht Italien wieder auf Konfrontation mit Seenotrettern. Mehrere Schiffe mit Geretteten an Bord lagen am Dienstag (8. November) in italienischen Häfen ohne dass alle Insassen an Land gehen durften. Das Schiff „Rise Above“ unter deutscher Flagge legte nach einer „Odyssee“ hingegen in Reggio Calabria an und konnte die Passagiere an Land bringen. Die „Ocean Viking“ der Hilfsorganisation SOS Méditarranée wiederum hat noch keinen Hafen zugewiesen bekommen.

Der Hintergrund: Italiens neue Regierung unter der ultrarechten Meloni hat einen restriktiven Kurs im Umgang mit Bootsflüchtlingen angekündigt. Innenminister Matteo Piantedosi ist der Meinung, dass die Länder, unter deren Flagge die Rettungsschiffe fahren, für die geretteten Migranten an Bord verantwortlich sind. Nun häufen sich die Probleme:

Italien im Streit mit Seenotrettern: Mehrere Schiffe in Schwierigkeiten – ein Überblick

Italiens neue Ministerpräsidentin Giorgia Meloni im Parlament. © Mauro Scrobogna/LaPresse via ZUMA Press/dpa

  • Nach Wochen auf See durfte am Sonntag das unter deutscher Flagge fahrende Schiff „Humanity 1“ der Organisation SOS Humanity in Catania auf Sizilien anlegen. 144 Menschen, hauptsächlich Minderjährige und Frauen, durften an Land gehen. 35 Männer mussten an Bord bleiben.
  • Am Sonntagabend war auch die „Geo Barents“, die von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenze betrieben wird und unter norwegischer Flagge fährt, in den Hafen von Catania eingelaufen. Die italienischen Behörden erlaubten 357 Migranten, unter ihnen auch Kinder, das Schiff zu verlassen, während 215 weitere an Bord bleiben mussten.
  • Der ebenfalls in Norwegen registrierten „Ocean Viking“ der Hilfsorganisation SOS Méditerranée haben die italienischen Behörden dagegen immer noch keinen Hafen zugewiesen. Das Schiff befand sich am Dienstagmorgen vor Syrakus vor Sizilien, wie ein AFP-Fotograf an Bord berichtete. Für die 234 Geretteten sei die Situation nach 17 Tagen an Bord „unerträglich“, erklärte SOS Méditerranée am Montag.
  • Das Rettungsschiff „Rise Above“ hat hingegen alle 89 Migranten an Bord in Reggio Calabria an Land bringen dürfen. Sechs Menschen wurden bereits zuvor aus medizinischen Gründen von dem Schiff evakuiert. Mission Lifeline hatte am Montagabend die Erlaubnis erhalten, in den Hafen von Reggio Calabria auf dem italienischen Festland zu fahren. Das Schiff kreuzte zuvor vor Sizilien, wo langsam der Treibstoff ausging.

Italien: Dramatische Lage auf Seenotrettungs-Booten – Männer springen ins Wasser

Drei auf der „Geo Barents“ gestrandete Flüchtlinge waren Montag im Hafen von Catania ins Meer gesprungen. Die Männer seien schnell aus dem Wasser gezogen worden, teilte Ärzte ohne Grenzen mit. Einer der drei Männer hatte offenbar versucht, die beiden anderen Männer nach ihrem Sprung ins Meer zu retten. Ein weiterer Bootspassagier wurde später mit akuten Bauchschmerzen in ein Krankenhaus gebracht.

Migranten an Bord des Schiffes „Geo Barents“ baten am Sonntag per Plakaten um Hilfe. © IMAGO/MASSIMO DI NONNO

Viele der an Bord ausharrenden Menschen leiden nach Angaben von Ärzte ohne Grenzen an „infektiösen Hautkrankheiten“ und unter großem psychologischen Stress. Die Möglichkeiten zur Behandlung von erkrankten Migranten auf dem Schiff seien begrenzt. SOS Humanity aus Deutschland kündigte schon am Sonntag rechtliche Schritte an: Das Vorgehen Italiens verstoße „gegen europäisches Recht und die Genfer Flüchtlingskonvention“, twitterte die Organisation.

Melonis neuer Migrations-Kurs: „Sie wird keine Zugeständnisse machen“

Dass Italien seinen Kurs grundlegend ändert, scheint aber unwahrscheinlich: Das hart rechte Regierungsbündnis aus Fratelli d‘Italia, Forza Italia und Lega hat in mehreren Bereichen bereits Zugeständnisse gemacht und den Tonfall gemäßigt – die Migrationspolitik dürfte nun für sie zum „Eingemachten“ zählen. Meloni werde gegenüber „vulnerablen Gruppen wie Migrantinnen und Migranten keine Zugeständnisse machen“, schätzte die Politikwissenschaftlerin Alice Engl vom Institut für Minderheitenrecht der Eurac Research zuletzt in einem Gespräch mit Merkur.de.

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Auch in Italien gibt es aber Kritik. Giovanni Maria Flick, früherer Präsident des italienischen Verfassungsgerichts, sprach in einem Interview mit der Tageszeitung Repubblica von einem „Krieg“ gegen Migranten, mehr noch aber gegen Seenotretter. Die aktuelle Praxis verstoße „gegen das Seerecht, internationale Konventionen und unsere Verfassung“, betonte er. Auch eine Auswahl der Geflüchteten vor dem Landgang sei „beunruhigend“. „Jeder“ an Bord unterliege italienischem Gesetz, sagte Flick, „Diskriminierung“ aufgrund von Geschlecht, Alter oder Krankheit sei nicht vorgesehen.

Der parteilose Innenminister Giovanni Piantedosi hatte zuletzt für weitere Empörung bei der Opposition gesorgt. Er verteidigte laut La Stampa das Vorgehen als „selektive Landung“ – und von einer „Restladung“ auf den Schiffen.

Italien: Melonis Regierung lässt Gerettete nicht vollzählig an Land – UNO und EU appellieren

Die UNO rief indes dazu auf, alle Migranten auf den Rettungsschiffen umgehend an Land zu lassen. Ein Zusammenschluss von 20 Nichtregierungsorganisationen, unter ihnen Oxfam und Human Rights Watch, veröffentliche ebenfalls einen „dringenden Appell“. Darin forderten sie Italien, Malta und die EU auf, das „Leid“ der auf den vier Rettungsschiffen festsitzenden Menschen zu beenden und ihnen Zuflucht zu gewähren.

Auch die EU-Kommission drängte Rom am Montag zu einer zügige Aufnahme der Migranten. „Im Einklang mit den internationalen Normen sollten alle Anstrengungen unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Zeit für die an Bord dieser Schiffe verbleibenden Personen so kurz wie möglich ist“, sagte eine Kommissionssprecherin in Brüssel. Alle zuständigen Behörden sollten zusammenarbeiten, um einen „geeigneten sicheren Ort“ zu schaffen. Die Sprecherin begrüßte, dass Italien am Sonntag mehrere Hundert Frauen, Kinder und Verletzte an Land ließ. (dpa/AFP/fn)

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