Coco chanel das alter hat keinerlei bedeutung

„Familie mag ich nicht. Ich kenne nichts Schrecklicheres." Ein grausamer Satz, doch nicht gestöhnt von Weihnachtsmuffeln dieser Tage, sondern vor langer Zeit von Coco Chanel und deswegen durchaus nachvollziehbar. Auch wenn sie im Laufe ihres Lebens in Erzählungen immer neue Ranken erblühen ließ um ihre Jugend und vor allem um den Vater, war die Wahrheit ihrer Herkunft doch ziemlich traurig.

Arm, verlassen, trostlos. Im Armenhaus von Saumur in der französischen Provinz kam sie am 19. August 1883 unehelich zur Welt, und viel besser wurden die Lebensumstände dann zunächst auch nicht. Umso bemerkenswerter sind die Stärke und die Karriere, die folgten und die Mademoiselle Chanel einen weiteren ihrer bellenden Sätze formulieren ließ: "Man wird in die Familie hineingeboren, nicht von ihr geboren."

Das diebische Vergnügen des Fräulein Coco Chanel

Die berühmte Coco Chanel hat stets ein hübsches Gespinst von Halbwahrheiten und kleinen Lügen über ihre Vergangenheit gelegt, verdunkelte, wo sie zu erhellen schien, aber immer auf eine Weise, dass sie, die in jungen Jahren ein großes Faible für Kitschromane hatte, wahrscheinlich selbst daran glauben konnte und damit ihre Seele beschützte wie später ihre Mode das Selbstbewusstsein von Frauen.

Der Faden zieht sich durch ihr langes, aufregendes Leben wie die Nähseide: auf der einen Seite Strenge, kühle Distanz und auf der anderen Seite ein Liebesleben zwischen Operette und "Vom Winde verweht".

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Es gibt viele Biografien, Geschichten, Mythen über die eine Frau, die das Selbstbild der Frauen im 20. Jahrhundert von Grund auf veränderte und damit wahrscheinlich mehr für die Emanzipation getan hat, als politische Aktivitäten es zu bewirken vermochten.

"Frauen tragen das Parfüm, das andere ihnen schenken. Sie sollten aber das ihre tragen, eines, das ihnen selbst gefällt", war nicht nur als Werbung für "Chanel No.5" zu verstehen. Wahrscheinlich hätte Mademoiselle, auf dieses "Fräulein" legte sie stolz großen Wert, diebisches Vergnügen, das eine oder andere über sich zu lesen.

Man sieht sie vor sich: in ihrem Appartement in der Pariser Rue Cambon, unverändert bis heute, im bequemen Tweed-Kostüm und den langen, kostbaren Perlenketten vom Herzog von Westminster auf dem beigefarbenen Sofa liegend, beschützt von einem der kostbaren Koromandel-Wandschirme, mit denen sie Türen verdeckte, (weil sie an Menschen erinnern, die sie verließen) und mit leicht spitzem Mund murmelnd: "Wenn die Leute wüssten …"

Archiv-Akten über Churchill und Coco

Dank der Engländerin Justine Picardie wissen die nun immerhin einiges mehr. Die britische Autorin hat quasi das "wahrste" Buch geschrieben. Zehn Jahre lang hat sie daran gearbeitet, in Gedanken noch länger. Schon als Kind war ihr der Name geläufig. Sie buchstabierte ihn wie ein Geheimnis, denn er stand auf einem kleinen Fläschchen Parfüm, das zu berühren strengstens verboten war. Es gehörte der Mutter und wurde gehütet statt verbraucht. Ausgerechnet. War die Mutter doch aktive Feministin.

Dennoch hatte sie auch in einem kleinen Schwarzen von Chanel geheiratet. Nicht ganz echt, aber immerhin ein Lizenzmodell, was 1960 noch legal war. Mit genau diesem Kleid zog die junge Justine, 1961 in London geboren und Punk, zu Konzerten der "Sexpistols", trug dazu 50er-Jahre Stilettos und blaue Irokesenhaare, subversiver ging nicht.

Viele Jahre später, da hatte sie längst in Cambridge Englisch studiert und lange bei der "Sunday Times" als investigative Reporterin gearbeitet, interviewte sie 1988 Karl Lagerfeld für die "Vogue" und vermisste ein seriöses englischsprachiges Buch über Coco Chanel. Überhaupt gab es nur eines auf Französisch, und das war fast dreißig Jahre alt. Sie zögerte, verfolgte nebenbei dennoch die Idee und fand eines Tages im Archiv der Universität Cambridge in der Akte von Winston Churchill einen dicken Ordner mit Bezug zur Modeschöpferin.

Biographie: Chanel und die Nazis

Die beiden waren Freunde über viele Jahre, sie saß neben ihm im "Ritz", als er weinend vom Rücktritt des König erzählte, er rettete sie nach dem Krieg vor Verdächtigungen als Spionin.

"Ich kannte das Gerede über Chanels Beziehungen zu den Nazis, doch erst als ich in der Churchill-Akte Aufzeichnungen über ihre Rolle im Zweiten Weltkrieg entdeckte – und die hatte viel mit der Sorge um ihren Neffen, der womöglich ihr Sohn war, zu tun – da wusste ich: Ich kann das Buch schreiben", erzählt Justine Picardie mit warmer Stimme in der ruhigen, qualifizierten Art, in der sie auch schreibt.

"Die Verflechtungen im Krieg waren nicht schwarz-weiß, und ich bin sehr interessiert an Grau. Es ist absurd, zu glauben, Chanels Geschichte wäre nur die von Mode!"

Die selbstbewusste Coco flirtete mit den mächtigen und reichsten Männern ihrer Zeit. Sie war nicht politisch, doch ihr Umgang war es. Die Liebelei mit dem exilierten Großfürsten Dmitrij Pawlowitsch oder ganz besonders die Affäre mit dem Abwehrchef der Nazis Walter Schellenberg.

Churchill bewunderte sie wohl auch, weil sie die fettesten Lachse auf dem Anwesen von Churchills Buddy und ihrem langjährigen Lover, dem Herzog von Westminster, herausfischte. "Ein starkes Geschöpf", nennt er Coco in einem Brief, "fähig, über einen Mann oder ein Reich zu herrschen." Sie war eben "hands-on", nicht zimperlich, jungshaft und doch erotisch, nonchalant. Alles Affektierte, Überladene fand sie nicht nur in modischen Fragen albern. "Eine ausgehaltene Frau? Grauenhaft!"

Die eingebrannte Klosterästhetik

Ihre Biografin stöberte in Archiven, sprach mit Vertrauten, Anwälten, fuhr zur Villa La Pausa, Chanels Rückzugsort an der Cote d'Azur, wo sie mit den Künstlerfreunden Igor Strawinsky, Jean Cocteau, Pablo Picasso, Salvador Dalí und anderen feierte. Mit all ihren akribischen Recherchen beeindruckte Picardie Karl Lagerfeld und alle anderen im Haus Chanel und bekam so wiederum als erste Journalistin Zugang zum gehüteten Firmenarchiv.

Sie hatte auch etwas einzutauschen, Details über die Liaison mit dem Herzog von Westminster zum Beispiel. Von Lagerfeld gab es nicht nur Illustrationen zurück, sondern auch eine Art Siegel: Die deutsche Übersetzung ihres Buches ist in der L.S.D. Division bei Steidl, die der Gralshüter des Chanel-Nimbus zusammen mit seinem Lieblingsverleger gegründet hat, erschienen.

Und so reiste Justine Picardie auch in das Kloster von Aubazine, jenem dunklen Ort, an dem die elfjährige Gabrielle und ihre beiden Schwestern nach dem frühen Tod der Mutter von ihrem Vater auf Nimmerwiedersehen abgegeben wurden. Dort verbrachte die Autorin – besonders sensibilisiert, weil ihr Mann sie gerade nach langer Ehe für eine andere Frau verlassen hatte – eine Woche in der Bedrücktheit des unveränderten Schweigeortes, erspürte die große Verlassenheit, die Chanels Leben geprägt hatte, entdeckte in den schwarz-weißen Abteifenstern Muster wie das verschlungene Logo von Chanel, lief über Intarsienböden, deren Verläufe sich in Stickereien wiederfinden.

Sieben Jahre, bis zu ihrem 18. Geburtstag, verbrachte die Halb- und doch Vollwaise Gabrielle bei den Nonnen. Die Kloster-Ästhetik hatte sich tief eingebrannt in ihr Stilgefühl. Blieb Inspiration ihres Designs, das ewige, strenge Nähen und Sticken prägten die Gewissenhaftigkeit ihrer Perfektion. Und die romantischen Jungmädchen-Kleiderträume waren schon im Keim erstickt worden. Ein malvenfarbenes Kleid? Die Nonnen hoben nur die Brauen. Extravaganz wurden für Coco nicht die sperrigen Dekorationen des Fin de Siècle, sondern bedeutete die Freiheit, Männer- und Sportkleidung auf ihren schmalen Körper zu übersetzen.

Kinder harrten neben der toten Mutter aus

Oonah Chanel, die nächste Generation

Oonah Chanel ist mehr Tilda Swinton als Coco Chanel.

Quelle: Robert Carbonnet

Immer souverän, immer cool: Oona Chanel vor der Kamera.

Quelle: Robert Carbonnet

Ein Foto von Oona Chanel, das im Rahmen des Haute Couture Awards 2014 in Österreich entstanden ist.

Quelle: Raphaela Pröll

Model und Jurymitglied Oona präsentierte die zwölf finalen Haute-Couture-Outfits der Jungdesigner.

Quelle: Raphaela Pröll

Das finnische Topmodel überzeugt durch ihre Präsenz, nicht durch ihre Verwandtschaft zur weltberühmten Coco.

Quelle: Raphaela Pröll

Sie bestritt stets, dass der Vater sie verlassen habe, das Wort Waisenhaus wurde durch "die Tanten, an die sie übergeben worden" sei, ersetzt. Aber auch die Brüder, der jüngste starb früh, die beiden anderen kamen nach dem Tod der Mutter als Arbeitskräfte zu Bauern, fanden nicht statt in ihren Erinnerungen.

Das war wohl weniger Herzlosigkeit als psychischer Schutzwall. Im Februar 1895 starb die Mutter in dem ungeheizten Zimmer, in dem sie allein mit ihren fünf Kindern hauste, der Vater war auf Tour. Niemand weiß, wie lange die Geschwister bei der Toten gesessen hatten. Chanel sprach nie darüber. Oder sagte Sätze wie: "Die Kindheit – von der spricht man, wenn man sehr müde ist, weil es eine Zeit war, in der man Hoffnungen und Erwartungen hatte."

Jeder Mann hat sie irgendwann verlassen, jedenfalls in jungen Jahren, geheiratet hat sie nie. Wirklich unglücklich war sie, als ihre große Liebe und zugleich ihr Geschäftspartner Boy Chapell aus Prestigegründen die adelige Witwe des Halbbruders vom Herzog von Westminster heiratete, zwar ihr Freund blieb, dann aber durch einen Unfall starb. Justine Picardie hat nun einen Kreis geschlossen: "Sie stahl dem Duke von Westminster das Herz, einem Verwandten jener Frau, die ihr Boys Herz gestohlen hatte."

Unter seine letzte Illustration im Buch hat Lagerfeld geschrieben: "Wer will das schon alles lesen. Es war doch in Wirklichkeit ganz anders ..." Oder?

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